Burundi: Jahresbericht 2022

Burundi

Die staatlichen Behörden versagen bei der Wahrung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit. Viele unabhängige Menschenrechtsorganisationen dürfen nicht arbeiten und zahlreiche zivilgesellschatliche Akteur*innen bleiben im Exil. Gezielte Angriffe durch die Sicherheitskräfte und die Imbonerakure (Jugendorganisation der Regierungspartei) gegen Regierungskritiker*innen und Oppositionelle dauern an. Dazu gehören auch willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sowie das Verschwindenlassen von Personen. In der Haft werden Rechte von Gefangenen verletzt. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission sieht sich dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt.

Das Versäumnis der Regierung, etwas gegen die Treibstoffknappheit zu unternehmen, sowie die unkluge Entscheidung, Fahrräder, Dreiräder und Motorräder aus dem Stadtzentrum von Bujumbura zu verbannen, wirken sich negativ auf die Lebenshaltungskosten aus und beeinträchtigen so soziale und wirtschaftliche Rechte. Einige rückkehrende Geflüchtete werden Opfer von Schikanen, Einschüchterungen und Angriffen.

Hintergrund

Im Februar wurden die EU-Sanktionen gegen Burundi gemäß Artikel 96 des Afrika-Karibik-Pazifik-Partnerschaftsabkommens von 2016 aufgehoben. Die Beziehungen zum Nachbarland Ruanda verbesserten sich weiter. Im März erhielt Präsident Évariste Ndayishimiye einen Besuch des ruandischen Verteidigungsministers, der eine persönliche Grußbotschaft seines Präsidenten überbrachte, um so die bilateralen Beziehungen zu normalisieren. Im Mai reiste der Präsident der Demokratischen Republik Kongo (DRK) zu einem offiziellen Besuch. Anlass waren Befürchtungen, dass burundische Armee und Imbonerakure militärische Operationen gegen bewaffnete burundische Gruppen im Gebiet der DRK durchführen.

Die burundischen Behörden verweigerten weiterhin sowohl Zugang zu als auch Zusammenarbeit mit regionalen und internationalen Menschenrechtsinstanzen. Dazu gehören etwa die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker (ACHPR) und der UN-Menschenrechtsrat.

Nach Angaben des OCHA benötigten 1,8 Millionen der 13 Millionen Einwohner*innen des Landes im Jahr 2022 humanitäre Hilfe.

Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Das Recht auf freie Meinungsäußerung, sowie auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit wurde von den staatlichen Stellen nicht gewahrt.

Im März lösten die Ordnungskräfte eine Pressekonferenz auf, die von den zivilgesellschaftlichen Organisationen „Mit Wort und Tat für Bewusstseinsbildung und Mentalitätsentwicklung“ (PARCEM) und der „Beobachtungsstelle für Korruptionsbekämpfung und Misswirtschaft“ (OLUCOME) organisiert worden war. Während der Konferenz hatten Teilnehmer*innen die Maßnahmen des Innenministeriums zum Verbot von Fahrrädern, Dreirädern und Motorrädern in der Innenstadt von Bujumbura angeprangert.

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission brachte im März einen Gesetzentwurf ein, der die Leugnung des Genozids an den Hutu im Jahr 1972 in Burundi unter Strafe stellen soll. Ein Inkrafttreten des Gesetzes birgt die Gefahr einer weiteren Beschneidung des ohnehin schrumpfenden zivilgesellschaftlichen Raums. Es ist anzunehmen, dass das Gesetz zur Unterdrückung des Rechts auf freie Meinungsäußerung missbraucht würde.

Im Juni wurden Feiern zum dritten Jahrestag der wichtigsten Oppositionspartei “Nationalkongress für die Freiheit” (CNL) in mehreren Provinzen verboten. Sicherheitskräfte und Mitglieder der Imbonerakure störten mehrere CNL-Versammlungen. So auch im Juli in der Provinz Gitega, wo eine Gruppe mutmaßlicher Imbonerakure in Begleitung der örtlichen Behörden die Partei beschuldigte, ein geheimes und nicht genehmigtes Treffen abzuhalten. In der Provinz Ruyigi wurden zwei CNL-Büros niedergebrannt, weitere zudem beschädig. Die Versuche der CNL, eine parlamentarische Oppositionsfraktion zu begründen, stießen anfänglich auf Widerstand seitens des Präsidenten der Nationalversammlung.

Im September forderte der Vorsitzende der ACHPR in einem Schreiben an Präsident Ndayishimiye umgehende Schutzmaßnahmen für die exilierten zwölf Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen (Marguerite Barankitse, Dieudonné Bashirashize, Arcade Havyarimana, Patrick Mitabaro, Innocent Muhozi, Patrick Nduwimana, Pacifique Nininahazwe, Armel Niyongere, Gilbert Niyonkuru, Anne Niyuhire, Vital Nshimirimana und Bob Rugurika). Sie waren fälschlicherweise beschuldigt worden, an dem versuchten Staatsstreich vom Mai 2015 beteiligt gewesen zu sein. Der Oberste Gerichtshof hatte sie in ihrer Abwesenheit im Juni 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt, wobei das Urteil erst im Februar 2021 veröffentlicht wurde.

Willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen

Die Behörden und die Imbonerakure gingen durch Misshandlungen, Festnahmen und illegale Inhaftierungen weiter gegen CNL-Mitglieder vor.

Christophe Sahabo, Direktor des Kira-Krankenhauses in Bujumbura, wurde im April zusammen mit dem französischen Staatsangehörigen Jean-David Pillot, dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats des Krankenhauses, festgenommen. Letzterer wurde nach einer Nacht aus der Haft entlassen, während Christophe Sahabo mehrere Tage in Haft blieb. Der Zugang zu seiner Familie oder einem*r Anwält*in seiner Wahl wurde ihm verwehrt. Er war mehr als 30 Tage in einer Zelle des Nationalen Nachrichtendienstes (SNR) inhaftiert, bevor er einem Richter vorgeführt und in das Gefängnis von Mpimba überführt wurde. Am 29. September wurde er in das etwa 160 km von Bujumbura entfernte Ruyigi-Gefängnis verlegt. Erst dort wurde sein Fall registriert. Seine Familie und Anwält*innen gaben an, dass er aufgrund unbegründeter Anschuldigungen von Betrug, Geldwäsche und Urkundenfälschung zum Rücktritt von seinem Posten im Kira-Krankenhaus gezwungen worden sei. Eine*r seiner Anwält*innen erklärte, dass bei einer kürzlich von den Interimsverantwortlichen des Kira-Krankenhauses in Auftrag gegebenen Finanzprüfung kein Vergehen zu Lasten von Christophe Sahabo festgestellt werden konnte.

Am 27. September wurden sein Bruder Etienne Sahabo und seine Anwältin Sandra Ndayizeye, Tochter des ehemaligen Präsidenten Domitien Ndayizeye, verhaftet. Ihnen wurde von der Generalstaatsanwaltschaft vorgeworfen, das Protokoll derjenigen Generalversammlung des Kira-Krankenhauses gefälscht zu haben, in der Christophe Sahabo erneut als Direktor eingesetzt worden war. Sandra Ndayizeye wurde am 7. Oktober freigelassen, aber erst nachdem sie auf die Vertretung von Christophe Sahabo verzichtet hatte. Auch Etienne Sahabo wurde am selben Tag freigelassen.

Im Dezember hob der Oberste Gerichtshof die fünfjährige Haftstrafe des Anwalts Tony Germain Nkina auf und ordnete eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Er war im Oktober 2020 verhaftet und zu Unrecht der Gefährdung der Staatssicherheit beschuldigt worden. Im Juni 2021 war er dann wegen “Kollaboration mit Rebell*innen, die Burundi angegriffen haben” zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.

Eine Woche nach Wiederaufnahme des Verfahrens wurde er freigelassen, nachdem das Berufungsgericht von Ngozi ihn freigesprochen hatte.

Rechte von Gefangenen

Sicherheitsbehörden verstießen weiterhin gegen die Rechte von Gefangenen.
Die Haftbedingungen entsprachen nicht den internationalen Menschenrechtsstandards; die Einrichtungen waren stark überbelegt, und die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und medizinischer Betreuung war unzureichend. Gefangene und Menschenrechtsverteidiger*innen prangerten die von den Gefängnisbehörden ab Juli verhängten Rationskürzungen an. Diese Situation wurde durch den anhaltenden Anstieg der Häftlingszahlen noch verschärft. Nach Angaben des Menschenrechtsverteidigers Pierre Claver Mbonimpa reichten die von den staatlichen Stellen bereitgestellten Lebensmittel nur für 4.294 Häftlinge, während die Zahl der Gefangenen auf über 12.000 geschätzt wird.

Nach wie vor wurde von seiten der Behörden keine umfassende Untersuchung des Brandes im Gitega-Gefängnis im Dezember 2021 durchgeführt, bei dem nach offiziellen Angaben mindestens 38 Menschen ums Leben kamen. In der Einrichtung, die für 400 Insassen ausgelegt war, waren mehr als 1.200 Menschen untergebracht.

Während des ganzen Jahres beaufsichtigte der Generalstaatsanwalt Entlassungen von Untersuchungshäftlingen, die wegen kleinerer Vergehen angeklagt waren. Dies geschah auf der Grundlage einer Anordnung von Präsident Ndayishimiye aus dem Jahr 2021, mit dem Ziel, Überbelegungen zu reduzieren. Nach offiziellen Angaben wurden in der Hauptstadt Gitega bis Juni mindestens 60 Häftlinge entlassen. Aus dem Mpimba-Gefängnis in Bujumbura wurden im Juni 111 Häftlinge, darunter fünf Frauen*, vorläufig entlassen. Im November gab die Justizministerin eine interne Mitteilung zur Gefängnisüberlastung an alle Dienststellen heraus und rief dazu auf, jene Anordnung des Präsidenten umzusetzen.

André Ndagijimana, Mitglied der CNL, starb im Juli im Ngozi Krankenhaus in Polizeigewahrsam. Ihm war der Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung verweigert worden.

Gewaltsames Verschwindenlassen

Auch wenn die Zahl der Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen 2022 insgesamt zurückging, waren Kritiker*innen der Regierung sowie der Regierungspartei weiterhin akut dadurch gefährdet.

Jean de Dieu Ndasabira, ein CNL-Mitglied, verschwand im Juni. Untersuchungen lokaler Organisationen zufolge wurde er vermutlich von SNR-Beamten von seiner Arbeitsstelle in Bujumbura mitgenommen. Die zuständigen Behörden hatten bis Ende des Jahres keine Informationen über etwaige Ermittlungen zu seinem Verschwinden vorgelegt.

Recht auf Leben

Burundische Menschenrechtsorganisationen berichteten weiterhin von Leichenfunden in Flüssen im ganzen Land; Vermutungen zufolge sind Sicherheitskräfte und die Imbonerakure für diese Tötungen verantwortlich. Die Behörden unternahmen jedoch keine Anstrengungen, diesen Vorwürfen nachzugehen.

Im Juni wurde, Jean Claude Ntirampeba, Jugendsprecher der CNL-Partei seiner Region, tot in der Nähe des Rusizi-Flusses gefunden. Seine Leiche wies deutliche Anzeichen einer Ermordnung auf.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Der Wahrheits- und Versöhnungskommission wird schon seit langem Befangenheit vorgeworfen. Ihre Methodik und Vorgehensweise bei der Exhumierung von Leichen wird weiterhin von Menschenrechtsorganisationen bemängelt. Viele burundische und internationale Akteur*innen sehen sie als Instrument der Regierungspartei, um die Hutu als die einzigen Opfer der Massaker von 1972 darzustellen und andere Gräueltaten völlig auszublenden.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Seit August 2021 ist es den Behörden nicht gelungen, die Treibstoffversorgung sicherzustellen. Dies führte zu einer Stagnation der Wirtschaft, einem drastischen Anstieg der Inflation, steigenden Lebensmittelpreisen und Ausfällen im öffentlichen Nahverkehr in den Großstädten. Letzteres betraf vor allem Beschäftigte des Gesundheitswesens, Student*innen, sowie Angestellte im öffentlichen Dienst und im privaten Sektor. Das vom Innenministerium im März verhängte Verbot von Fahrrädern, Dreirädern und Motorrädern im Stadtzentrum von Bujumbura verschärfte die Lage zusätzlich (siehe oben, Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit).

Lokale Medien berichteten über Erpressungen von Autofahrern durch die Imbonerakure, lokale Beamte und Sicherheitskräfte, um langen Warteschlangen beim Tanken zu entgehen.

Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen

Nach Angaben des UNHCR, dem Geflüchtetenhilfswerk der Vereinten Nationen, hielten sich im vergangenen Jahr 258.272 burundische Geflüchtete in Nachbarstaaten und mehr als 80.000 Binnengeflüchtete innerhalb des Landes auf. Der UNHCR unterstützte die Rückkehr von 16.621 burundischen Geflüchteten vor allem aus der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und Tansania. Örtliche Medien und Menschenrechtsorganisationen berichteten weiterhin über Schikane und gezielte Angriffe durch Imbonerakure und lokale Beamte auf Rückkehrer*innen.

Lest das ganze Regionalkapitel zu Afrika für ein Verständnis der größeren Zusammenhänge: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/regionalkapitel-afrika-2022
Lest den Jahresbericht von Amnesty in ganzer Länge und informiert euch umfassend über die Menschenrechtslage weltweit: https://www.amnesty.org/en/documents/pol10/5670/2023/en/