Amnesty International hat den Afrika-Regionalbericht 2019/2020 veröffentlicht. Der Bericht “Regionalbericht Afrika 2019” analysiert die wichtigsten Entwicklungen des vergangenen Jahres: Regierungen in mehreren afrikanischen Staaten, etwa Nigeria, versuchten im Jahr 2019 den Raum für zivilgesellschaftliches Engagement einzuschränken. Gleichzeitig gingen Menschen in diversen Ländern auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern. Im Sudan wurden bei Protesten 177 Menschen durch Sicherheitskräfte getötet und über 300 verletzt. Dennoch lassen sich Aktivisten und Bürger in Afrika nicht einschüchtern und gehen auf die Straße. “Die politischen Veränderungen in Äthiopien und im Sudan führten zwar zu Verbesserungen der Menschenrechte. Für einen dauerhaften Frieden muss die sudanesische Regierung jedoch endlich den ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir an den internationalen Gerichtshof überstellen. Die äthiopische Regierung muss sich an der Wahrung der Menschenrechte bei den kommenden Parlamentswahlen messen lassen, auch wenn die Wahlen wegen Covid-19 verschoben sind”, so Franziska Ulm-Düsterhöft, Afrika-Expertin bei Amnesty International Deutschland. Immer mehr afrikanische Staaten sehen sich zudem mit Angriffen durch bewaffnete Gruppierungen konfrontiert, insbesondere Burkina Faso, Kamerun, Mali, Mosambik und Somalia. In mehr als 20 afrikanischen Staaten wurde durch rechtswidrige Verbote, exzessiven Gewalteinsatz, Schikanen, willkürliche Inhaftierungen und andere Maßnahmen das Recht auf friedlichen Protest eingeschränkt.
Hier geht es zum Original-Bericht:Human rights in AFRICA 20192020
Hier der Bericht zu Sudan:
Sudan
Amtliche Bezeichnung: Republik Sudan
Staatsoberhaupt: Abdel Fattah al-Burhan (löste Omar Hassan Ahmed al-Bashir am 12. April 2019 im Amt ab)
Regierungschef_in: Abdalla Hamdok
Das Jahr 2019 war durch die sich verschärfende Wirtschaftskrise sowie durch exzessive Gewalteinsätze und rechtswidrige Tötungen seitens der sudanesischen Sicherheitskräfte geprägt, die friedliche Proteste brutal niederschlugen. Mindestens 177 Menschen wurden getötet, die Zahl der Verletzten ging in die Tausende. Die Sicherheitskräfte schossen auf Demonstrierende mit scharfer Munition, schlugen auf den Straßen und in Krankenhäusern auf sie ein und inhaftierten Tausende Menschen, die sie dann in der Haft folterten und auf andere Weise misshandelten. In den meisten Fällen sind die Untersuchungen der Menschenrechtsverletzungen immer noch nicht abgeschlossen. In Darfur verübten Regierungseinheiten und die mit ihnen verbündeten Milizen nach wie vor Kriegsverbrechen und andere gravierende Menschenrechtsverstöße. Sie agierten dabei in völliger Straflosigkeit.
HINTERGRUND
Die politische Instabilität führte dazu, dass die sudanesische Bevölkerung im Dezember 2018 auf die Straße ging, um ihrer Wut über die steigenden Lebenshaltungskosten und die Erosion der politischen Freiheiten Luft zu machen. Die Proteste entwickelten schnell eine Eigendynamik und mündeten im April 2019 in einen Militärputsch, in dessen Rahmen die Regierung der Nationalen Kongresspartei (National Congress Party – NCP) abgesetzt wurde. Präsident al-Bashir und weitere Parteiführer wurden festgenommen. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Militärs und einem Bündnis von Oppositionsparteien wurde am 17. August 2019 eine Verfassungserklärung unterzeichnet. Sie enthält einen Grundrechte-Katalog (Bill of Rights) zur Stärkung der Menschenrechte. Der Militärische Übergangsrat (Transitional Military Council – TMC) löste sich am 21. August 2019 auf. Es wurden ein neuer Souveräner Rat (Sovereign Council) und ein Regierungschef ernannt. Im September wurde ein neues Kabinett gebildet.
EXZESSIVE GEWALTANWENDUNG UND RECHTSWIDRIGE TÖTUNGEN
Das Jahr war durch fortwährende brutale Gewalteinsätze der sudanesischen Sicherheitskräfte gegen friedlich Demonstrierende geprägt. Seit Dezember 2018 hatte es Massenproteste auf den Straßen gegeben, die durch die wirtschaftliche und politische Krise sowie systematische Menschenrechtsverletzungen ausgelöst worden waren. Als Präsident al-Bashir im April 2019 abgesetzt wurde, waren 77 Zivilpersonen durch die Anwendung exzessiver Gewalt getötet und Hunderte weitere verletzt worden. Angehörige des Geheimdienstes (National Intelligence and Security Services – NISS) verübten im Zeitraum bis April 2019 rechtswidrige Tötungen, vor allem indem sie bei der Auflösung von Demonstrationen scharfe Munition einsetzten. Außerdem wurden Hunderte Demonstrierende geschlagen, willkürlich festgenommen und inhaftiert, gefoltert und auf andere Weise misshandelt.
Häufig griffen die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Khartum, aber auch in anderen Städten, Wohngebiete an und drangen in Wohnungen und Krankenhäuser ein. Am 9. Januar 2019 stürmten Angehörige der Sicherheitskräfte ein Krankenhaus in der Stadt Omdurman, die im Nordwesten an Khartum grenzt, und schossen mit scharfer Munition und Tränengas um sich. Sie suchten nach Menschen, die dort nach Protesten, die am selben Tag in Omdurman stattgefunden hatten, wegen Schussverletzungen behandelt wurden. Die Sicherheitskräfte eröffneten zunächst das Feuer im Hof des Krankenhauses. Dann verschafften sie sich Zugang zur Notaufnahme sowie in die medizinischen Abteilungen des Krankenhauses und schlugen auf Patient_innen und Ärzt_innen ein. An diesem Tag waren bei den Protesten mindestens drei Menschen erschossen worden. Acht Personen lagen mit Schussverletzungen an Kopf, Brust, Bauch und Beinen im Krankenhaus.
Mindestens drei Personen wurden verletzt, als Sicherheitskräfte am 24. Februar 2019 im Bundesstaat Khartum mit scharfer Munition und Tränengas auf Demonstrierende schossen. Eine weitere Gruppe von Sicherheitskräften drang während einer friedlichen Protestaktion von Studierenden gewaltsam auf den Campus der Universität für Medizin und Technik in Khartum vor. Sie feuerten Tränengas in die Hörsäle, schlugen Studierende zusammen und nahmen Dutzende von ihnen fest.
Auch nach der Absetzung von Präsident al-Bashir im April 2019 wandten die Sicherheitskräfte weiterhin exzessive Gewalt gegen Demonstrierende an. Im Juni 2019 wurden bei Angriffen mehr als 100 Protestierende getötet. Die Angriffe dauerten drei Tage lang und wurden von der militärischen Sondereinheit Rapid Support Forces (RSF) angeführt, die mit der abgesetzten Regierung verbündet gewesen war. Am 3. Juni verübten die RSF und andere Sicherheitskräfte in Khartum bei der Auflösung eines friedlichen Protestlagers besonders brutale Gräueltaten. Hunderte schwer bewaffnete Soldaten wurden mit Fahrzeugen ohne Nummernschilder zum Ort des Protestlagers gebracht. Dort schossen sie mit scharfer Munition und Tränengas, schlugen die Protestierenden, steckten ihre Zelte in Brand und begingen entsetzliche Akte sexualisierter Gewalt. Mindestens 100 Menschen wurden getötet, 700 mussten medizinisch behandelt werden. Die Sicherheitskräfte verfolgten die Verletzten bis in die Krankenhäuser in der Umgebung. Sie versuchten ihre Verbrechen zu vertuschen, indem sie die Leichen der Getöteten mit Ziegelsteinen beschwerten und in den Nil warfen.
FEHLENDE RECHENSCHAFTSPFLICHT
Seit Dezember 2018 hat lediglich ein einziges Gerichtsverfahren stattgefunden, in dem es um die Verletzung der Menschenrechte Demonstrierender durch Sicherheitskräfte ging. Die Ermittlungen in anderen Fällen dauerten an. Im Oktober 2019 setzte der Regierungschef der Übergangsregierung eine nationale unabhängige Untersuchungskommission ein, die nach Angaben der Regierung die am 3. Juni begangenen Menschenrechtsverletzungen transparent und gründlich untersuchen soll. Die Kommission sollte ihren Ergebnisbericht innerhalb von drei Monaten vorstellen. Die Frist wurde jedoch verlängert. Ungefähr 40 Angehörige der Sicherheitskräfe mussten sich für den Tod des 40 Jahre alten Lehrers Ahmed al-Kheir vor Gericht verantworten. Er war am 1. Februar 2019 an den Folgen der in Haft erlittenen Folterungen gestorben. Ein Gericht in Khartum verurteilte 29 Angehörige der Sicherheitskräfte wegen der Tötung von Ahmed al-Kheir am 30. Dezember 2019 zum Tode.
Die im Kontext des Konflikts in Darfur begangen Gewalttaten wurden hingegen nicht strafrechtlich geahndet. Bislang sind weder die Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen untersucht worden, die im Jahr 2019 verübt wurden, noch die, die unter der Regierung von Omar al-Bashir begangen wurden. Zudem weigerten sich die sudanesischen Behörden, verdächtige Personen an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auszuliefern, gegen die es einen Haftbefehl des IStGH wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Darfur gab.
RECHTE AUF MEINUNGS-, VERSAMMLUNGS- UND VEREINIGUNGSFREIHEIT
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 schränkten die Behörden die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit stark ein. Die Regierung verhängte am 22. Februar 2019 einen landesweiten Ausnahmezustand. Drei Tage später wurden auf dessen Grundlage fünf Präsidialdekrete erlassen, die den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse gaben und die Rechte auf Freiheit, Sicherheit der Person, auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit einschränkten. Dies hatte den Einsatz vieler Sicherheitskräfte, auch der Armee, auf den Straßen zur Folge.
Tausende Menschen, die Anfang 2019 festgenommen worden waren, weil sie an friedlichen Protesten teilgenommen hatten, wurden nach der Absetzung der Regierung von Präsident al-Bashir auf freien Fuß gesetzt. Viele waren in der Haft gefoltert worden oder hatten andere Misshandlungen erlitten. Mindestens 23 hochrangige Mitglieder der früheren Regierungspartei NCP befanden sich bei Jahresende weiterhin im Gefängnis, ohne wegen einer international anerkannten Straftat angeklagt worden zu sein. Der Gewerkschaftsverband Sudanese Professionals Association, der die Proteste koordinierte, warnte im Juni 2019 vor einem zu erwartenden Angriff der Sicherheitskräfte zur Räumung des Protestlagers vor dem Militärhauptquartier in Khartum. Das Lager bestand seit dem 6. April. Am 3. Juni griffen die RSF und andere Sicherheitskräfte die Demonstrierenden mit Schusswaffen und Tränengas an. Hunderte Menschen wurden festgenommen. Viele wurden zwar wieder freigelassen, eine unbekannte Zahl von Menschen wird jedoch noch immer vermisst. Der TMC behauptete später in einer Erklärung, dass „unkontrollierbare Elemente“ das Protestlager infiltriert hätten. Es sei daher zu einem Brennpunkt der Kriminalität und einer Bedrohung für die Demonstrierenden geworden. Am selben Tag forderte der TMC die diplomatischen Vertretungen in einem Schreiben auf, sich von dem Lager fernzuhalten.
Vom 3. bis zum 9. Juni 2019 sperrte die Regierung den Zugang zum Internet. Mit dieser Maßnahme sollten abweichende Meinungen im Keim erstickt und Menschenrechtsverteidiger_innen daran gehindert werden, über die Angriffe auf Demonstrierende zu berichten.
BEWAFFNETER KONFLIKT
Darfur
In einigen Teilen von Darfur ließen die bewaffneten Auseinandersetzungen nach. In der Region Jebel Marra dauerten sie jedoch an. Hier kämpfte die bewaffnete Gruppe Sudan Liberation Army-Abdul Wahid gegen die sudanesischen Streitkräfte und die RSF. In Darfur waren Regierungseinheiten und die mit ihnen verbündeten Milizen nach wie vor für Kriegsverbrechen und andere gravierende Menschenrechtsverstöße, darunter Tötungen, sexualisierte Gewalt, systematische Plünderungen und Vertreibungen verantwortlich.
Neue Beweise durch Satellitenbilder und Berichte von Zeug_innen, die im Lauf des Jahres dokumentiert wurden, bestätigten, dass Regierungseinheiten einschließlich der RSF und der mit ihnen verbündeten Milizen von Juli 2018 bis Februar 2019 mindestens 45 Ortschaften in Jebel Marra beschädigt oder zerstört hatten. Nach Schätzungen des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) suchten in diesem Zeitraum ungefähr 6.000 Binnenvertriebene im Lager von Otash Schutz. Damit lag die Zahl der Binnenvertriebenen aus der Region East Jebel Marra im Lager von Otash am 26. Mai 2019 bei rund 10.300 Menschen. Nach Angaben von OCHA mussten in ganz Darfur rund 2 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund der Gewalt verlassen. Viele hatten im benachbarten Tschad Zuflucht gesucht.
Südkordofan und Blue Nile
In den Bundesstaaten Südkordofan und Blue Nile wurde die Waffenruhe zwischen der Regierung und der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung/Armee-Nord (Sudan People’s Liberation Movement/Army-North – SPLM/A-N) eingehalten. Das Frühwarnsystem für Hungersnöte (Famine Early Warning Systems Network) wies daraufhin, dass die Ernährungssituation in den von der SPLM/A-N kontrollierten Gebieten dramatische Ausmaße angenommen habe. Die Lage werde durch die schlechten mikroökonomischen Bedingungen im Sudan insgesamt verschärft und betreffe 1,2 Millionen Menschen, die seit 2011 in der Region leben. Ende 2019 erlaubte die Regierung humanitäre Hilfe für die Regionen in Südkordofan und Blue Nile, die von der SPLM/A-N kontrolliert werden.
VERÖFFENTLICHUNGEN von amnesty international
Sudan: Remove Rapid Support Forces from Khartoum streets immediately (News story, June 2019)
- Sudan: International community should impose sanctions on transitional authorities (News story, June 2019)
Sudan: Soaring violence calls for urgent international response (News story, June 2019)
Sudan: State of emergency intensifies brutal government crackdown on protests (News story, February 2019)