Ruanda: Fairer Prozess für Paul Rusesabagina gefordert!

 

Amnesty International Öffentliche Stellungnahme

20. September 2021

Ruanda: Nach einem mangelhaften Prozess für Paul Rusesabagina muss ein erneutes faires Verfahren sichergestellt werden!

Paul Rusesabagina ist heute zu 25 Jahren Gefängnisstrafe durch die Kammer für internationale und grenzüberschreitende Straftaten des Obersten Gerichtshofs Ruandas wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt worden. Der Prozess war durch zahlreiche Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren geprägt. Insbesondere müssen die rechtswidrigen Umstände seiner Verhaftung und seiner Überstellung nach Kigali angeprangert werden, sein erzwungenes Verschwinden sowie die Isolationshaft, in der er sich zeitweise befand. Amnesty International hat das Verfahren unabhängig online per Livestream beobachtet und hatte dabei vor allem die Einhaltung der internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren im Blick.

Während des Genozids war Paul Rusesabagina maßgeblich an der Rettung von circa 1200 Menschenleben beteiligt, die im Hotel des Milles Collines, dessen Manager er war, in Kigali Unterschlupf gesucht hatten. Im Jahr 1996 verließ Rusesabagina Ruanda und stand der Regierungspartei Ruandische Patriotische Front (RPF) zunehmend kritisch gegenüber, was 2006 in der Gründung einer eigenen Oppositionspartei mündete, die Partei der Demokratie in Ruanda (PDR-Ihumure). 2018 war er außerdem an der Gründung der Ruandischen Bewegung für demokratischen Wandel (MRCD) beteiligt, einer Koalition von Oppositionsgruppen, deren Präsident er zum Zeitpunkt seiner Verhaftung war.

Paul Rusesabagina wurde gemeinsam mit 20 weiteren Personen beschuldigt, im Zusammenhang mit bewaffneten Angriffen im Süden Ruandas zu stehen, die dem bewaffneten Flügel der MRCD, den Nationalen Befreiungskräften (FLN), zugeschrieben werden. Bei den Überfällen 2018 und 2019 sind neun Menschen ums Leben gekommen.

Rusesabagina wurde in neun Punkten angeklagt: Bildung einer unregelmäßig bewaffneten Gruppierung, Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe, Finanzierung von Terrorismus, Mord als terroristischer Akt, Entführung als terroristischer Akt, bewaffneter Raub als terroristischer Akt, Brandstiftung als terroristischer Akt, versuchter Mord als terroristischer Akt sowie Beleidigung und Körperverletzung als terroristischer Akt.

Mit der Missachtung der Standards für ein faires Gerichtsverfahren wurden auch die Opfer und Überlenden der bewaffneten Angriffe missachtet. Sie verdienen echte Gerechtigkeit.

 

Rechtswidriger Transfer nach Ruanda

In den Morgenstunden des 28. August 2020 ging Paul Rusesabagina in Dubai gemeinsam mit Constantin Niyomwungere an Bord eines Privatjets, in der Annahme, eine Geschäftsreise nach Burundi anzutreten. Stattdessen landete das Flugzeug in Ruanda. Am 31. August wurde seine Verhaftung durch die ruandische Ermittlungsbehörde (RIB) bekanntgegeben und er wurde den Medien vorgeführt. Die genauen Details zu Rusesabaginas Auslieferung und anschließender Verhaftung wurden erst nach und nach bekannt und waren häufig widersprüchlich. Im Februar 2021 bestätigte der Justizminister jedoch, dass die Regierung Ruandas „die Reise, die zur Verhaftung von Paul Rusesabagina im August 2020 in Kigali führte, unterstützt hat”[1].

Am 10. März wies das Gericht Rusesabagina‘s Klage ab, er sei entführt worden. Die Richter_innen urteilten, dass er nicht gewaltvoll zu seiner Reise nach Ruanda gezwungen worden wäre und der Prozess daher fortgesetzt werden könne. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass er nicht entführt, sondern lediglich mit einem falschen Reiseziel getäuscht worden wäre.

Unabhängig davon, ob Gewalt angewendet wurde oder nicht, steht fest, dass Rusesabagina das Flugzeug nach Ruanda unter einem falschen Vorwand bestiegen hat. Ab dem Moment des Boardings wurde er von Akteur_innen, die im Auftrag der ruandischen Regierung arbeiteten, in einer Operation, die von der ruandischen Regierung unterstützt und finanziert wurde, seiner Freiheit beraubt und unrechtmäßig nach Ruanda überstellt. Gemäß internationaler Menschenrechtsvorschriften hätte er aber direkt zum Zeitpunkt der Festnahme über die Gründe für diese informiert und unverzüglich über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen unterrichtet werden müssen. Ebenso ist nach internationalem Recht die sog. Überstellung von Personen, also der Transfer von einem Land in ein anderes illegal, geschieht sie ohne jegliche Art von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren. Diesen Verstoß gegen ein faires Verfahren hätte das Gericht anerkennen und Abhilfe schaffen müssen, anstatt Rusesabagina‘s Beschwerde gegen die Art und Weise, wie er überhaupt vor Gericht gebracht wurde, abzuweisen.

 

Gewaltsames Verschwindenlassen und Isolationshaft

Paul Rusesabagina wurde am 31. August 2020 von der RIB in Kigali den Medien vorgeführt. Zuvor hatte seine Familie berichtet, dass sie zuletzt am 27. August 2020, unmittelbar nach seiner Reise von den Vereinigten Staaten nach Dubai, mit ihm gesprochen hatte, und seitdem nichts über seinen Verbleib wisse. Die Staatsanwaltschaft und andere haben erklärt, dass er bei seiner Ankunft in Ruanda verhaftet wurde.

Zwischen der letzten Kommunikation mit seiner Familie in der Nacht des 27. August 2020 und der Präsentation vor den Medien am 31. August 2020 waren der Aufenthaltsort und das Schicksal Rusesabaginas unbekannt. Während dieses viertägigen Zeitraums war er also Opfer erzwungenen Verschwindenlassens. Im Januar 2021 brachten Rusesabagina‘s Anwält_innen neben den rechtswidrigen Umständen der Verhaftung und Überstellung zudem seine Haftbedingungen als Eingabe vor Gericht und forderten rechtliche Schritte.

Im Zeitraum zwischen seiner Vorführung vor den Medien am 31. August und einem Interview mit der Zeitung The East African am 3. September 2020 wurde Rusesabagina in Isolationshaft gehalten. In diesem Interview sagte Rusesabagina, man habe ihm angeboten, sein Verteidigungsteam selbst zu wählen – es ist jedoch unklar, ob er zu dem Zeitpunkt des Interviews bereits Zugang zu einem Rechtsbeistand hatte. Am 31. August wurde er nämlich von der RIB verhört, ohne dass ein_e Anwält_in anwesend war. Der erste konsularische Kontakt war der Besuch des stellvertretenden belgischen Botschafters am 7. September. Am darauffolgenden Tag, den 08. September, hatte er dann erstmalig die Möglichkeit, telefonisch mit seiner Familie zu sprechen.

 

Vorwürfe der Folter

Im Mai 2021 reichte Rusesabagina‘s internationales Anwält_innenteam einen dringenden Appell beim UN-Sonderberichterstatter für Folter ein. Darin waren neue Foltervorwürfe für den Zeitraum des gewaltsamen Verschwindens nach Rusesabagina‘s Ankunft in Ruanda aufgeführt. In der Beschwerde heißt es, dass „Herr Rusesabagina zwischen dem 28. und 31. August 2020 von mindestens einem Mitarbeiter der ruandischen Untersuchungsbehörde (RIB) gefoltert, von hochrangigen Regierungsbeamten während und nach der Anwendung der Folter befragt wurde und anderen Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung unterworfen war”. Es wurden ebenfalls eine eidesstattliche Erklärung seines_r einen Anwält_in sowie die Kopie des Gesprächs zwischen Rusesabagina und einer_m Anwält_in vorgelegt, worin er beschreibt, wie ein Agent in Militärstiefeln auf seinen Hals getreten hatte, während er mit verbundenen Augen gefesselt war.

 

Die anfängliche Verweigerung der freien Wahl eines eigenen Rechtsbeistands

Nach Bekanntgabe der Verhaftung und während der entscheidenden ersten sechs Wochen der Ermittlungen und der Voruntersuchung wurde Rusesabagina zunächst der Zugang zu dem von seiner Familie beauftragten Rechtsbeistand verweigert. Stattdessen musste er zwei Anwält_innen aus einer Liste von der ruandischen Anwaltskammer an Pro-bono Anwälte_innen wählen. Am 5. September 2020, neun Tage nachdem Rusesabagina das Flugzeug in den Vereinigten Arabischen Emiraten bestiegen hatte, gab David Rugaza auf einer Pressekonferenz bekannt, dass Rusesabagina ihn als seinen Rechtsbeistand gewählt hatte. Gatera Gashabana, der von Rusesabagina‘s Familie beauftragte ruandische Anwalt, bemühte sich unterdessen wiederholt um Zugang, durfte Rusesabagina aber erst im Oktober sehen.

Im November 2020 wurden die beiden Pro-bono Anwält_innen David Rugaza und Emeline Nyembo von der RBA abberufen. Rusesabagina wurde nun von Gashabana vertreten. Während des Prozesses wurde er dann von Gashabana und Felix Rudakemwa vertreten. Den von der Familie beauftragten ausländischen Anwält_innen wurde keine Prozessberechtigung erteilt.

 

Das Abfangen von Nachrichten

Ab Dezember 2020 beschwerten sich Rusesabagina‘s Anwält_innen über die Beschlagnahmung privater und vertraulicher Dokumente ihres Mandanten durch das Gefängnis. Bei einer Anhörung am 5. März entschied das Gericht, dass in Verbindung zu dem Fall stehende Dokumente nicht von den Gefängnisbehörden beschlagnahmt werden dürfen. Dagegen sollen Dokumente, die nicht mit dem Fall zusammenhängen, von den Gefängnisbehörden inventarisiert werden, bevor sie an Rusesabagina weitergeleitet werden. Trotz dieser Entscheidung berichten Rusesabagina‘s Anwält_innen, dass erneut Dokumente, die als privat oder vertraulich gekennzeichnet waren, bei einem Besuch am 29. April 2021 beschlagnahmt wurden. Im Juli 2021 wurde bekannt, dass das Telefon von Paul Rusesabagina‘s Tochter, Carine Kanimba, mit der Spionagesoftware Pegasus der NSO-Gruppe infiziert war. Es wird angenommen, dass Ruanda Kunde der NSO-Gruppe ist. Jüngste Enthüllungen des Pegasus-Projekts deuten darauf hin, dass mehr als 3.500 Telefonnummern, darunter die von Aktivist_innen, Journalist_innen, politischen Gegner_innen, ausländischen Politiker_innen und Diplomat_innen von ruandischem Interesse, als potenzielle Ziele für Pegasus ausgewählt wurden.

 

Verstöße gegen ein faires Verfahren

Kurz vor Prozessbeginn im Februar erkundigte sich CNN bei Präsident Paul Kagame, ob Rusesabagina einen fairen Prozess bekommen würde. Die Antwort des Präsidenten lautete wie folgt: „Rusesabagina ist ein Bürger dieses Landes, der etwas sehr Falsches getan, ein Verbrechen begangen hat […] Er hat definitiv etwas falsch gemacht. [..] Es ist wichtig, dass es einen fairen Prozess gibt.“ Solche Aussagen verletzen den zentralen Grundsatz der Unschuldsvermutung und können Ausgang des Prozesses potentiell beeinflussen – auch ein faires Gerichtsverfahren wird damit verhindert.

Am 5. März 2021 erhoben Paul Rusesabagina und sein Verteidigungsteam Einspruch gegen die Anhörung von Constantin Niyomwungere. Sie begründeten das damit, dass er nicht auf der Zeug_innenliste gestanden und Rusesabagina bereits in Belgien und beim Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker Klage gegen ihn eingereicht hatte. Das Gericht beschloss, Niyomwungere nicht als Zeugen zu vernehmen, sondern als jemanden, der dem Gericht lediglich Informationen liefert. Er wurde weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Verteidigung ins Kreuzverhör genommen, doch die Richter_innen stellten ihm einige Fragen.

Bei der nächsten Anhörung am 12. März kündigte Paul Rusesabagina an, dass er nicht mehr an den Anhörungen teilnehmen werde, da klar sei, dass sein Recht auf ein faires Verfahren nicht respektiert werden würde. Zuvor war sein Antrag auf Vertagung des Prozesses um sechs Monate zum Zwecke der Entwicklung einer Verteidigungsstrategie abgelehnt worden.

Die vorsitzenden Richter_innen hatten heute und während des gesamten Prozesses viele Gelegenheiten, angemessene, rechtzeitige und wirksame Abhilfemaßnahmen für die Verletzungen von Paul Rusesabagina‘s Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten. Sie haben dies nicht getan. Amnesty International fordert die ruandischen Justizbehörden auf, die Verletzungen des Rechts von Paul Rusesabagina auf ein faires Verfahren anzuerkennen und diese im Rahmen eines Berufungsverfahrens oder einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu beheben.

[1]https://twitter.com/Rwanda_Justice/status/1365375804423561216?s=20