Zehn menschenrechtliche Prioritäten für die Übergangszeit im Sudan

Der Sturz von Präsident al-Bashir bietet eine bisher nicht dagewesene Möglichkeit, Menschenrechte im politischen Übergang im Sudan nachhaltig zu verankern.

Die sudanesische Bevölkerung protestiert seit Dezember 2018. Damals begannen Menschen, auf die Straße zu gehen, um ihre Wut über steigende Lebenshaltungskosten und die Einschränkungen politischer Freiheiten zum Ausdruck zu bringen. Der öffentliche Druck zeigte Wirkung: Am 11. April stürzte das sudanesische Militär die Regierung der National Congress Party (NCP) und nahm Präsident Omar al-Bashir sowie andere hochrangige Führungsmitglieder der Partei in Haft.

Die 30-jährige Amtszeit von al-Bashir war damit zwar beendet, die Menschenrechtssituation im Sudan, welche sich seit Beginn der Proteste dramatisch verschlechtert hat, verschärft sich jedoch weiterhin. Viele der Demonstrierenden, die für Frieden, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaftsreformen eingetreten sind, haben den Preis des Wandels mit ihrer Freiheit oder ihrem Leben bezahlen müssen.

Proteste brutal niedergeschlagen

Die sudanesischen Sicherheitskräfte schlugen die Proteste brutal nieder, indem sie Demonstrierenden unrechtmäßig töteten, sie brutal auf der Straße schlugen, sie unrechtmäßig in Haft nahmen und Folter und anderen Misshandlungen aussetzten.
Weiterhin stürmten die Sicherheitskräfte Krankenhäuser. Bei dem Versuch verletzte Demonstrierende festzunehmen setzten sie dann scharfe Munition und Tränengas gegenüber Patient_innen und medizinischem Personal ein, was einen eklatanten Verstoß gegen Völkerrecht darstellt.

Menschenrechte nachhaltig verankern

Der Sturz al-Bashirs bietet eine bisher nicht dagewesene Möglichkeit, Menschenrechte im politischen Übergang im Sudan nachhaltig zu verankern.
Bisher haben die sudanesischen Behörden den am 22. Februar verkündeten Ausnahmezustand beendet, Demonstrierende aus dem Gefängnis entlassen und versprochen, Sicherheitskräfte, die Demonstrierende getötet haben, vor Gericht zu stellen. Es muss jedoch noch viel mehr geschehen, um einen friedlichen Übergang und die Rechenschaftspflicht der Regierung zu gewährleisten und einen Sudan herzustellen, der Menschenrechte achtet und schützt.

Amnesty International fordert die folgenden zehn menschenrechtlichen Prioritäten für den politischen Übergang im Sudan:

  1. Achtung der Menschenrechte
    Die Rechte der sudanesischen Bevölkerung auf Meinungsfreiheit, friedliche Versammlung und Vereinigung, welche in der Übergangszeit von besonderer Wichtigkeit sind, müssen geachtet und geschützt werden.
  2. Ende der Repression von regierungskritischen und friedlichen Protesten
    Proteste, einschließlich des andauernden Sit-Ins vor dem Hauptquartier der Armee in Khartum, müssen erlaubt werden. Darüber hinaus muss der Einsatz von tödlicher und unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstrant_innen beendet werden.

    Selbst nach dem Sturz al-Bashirs wenden die Sicherheitskräfte weiterhin tödliche Gewalt gegen Protestierende an. Am 21. April verletzten Sicherheitskräfte Demonstrant_innen in der Stadt Kutum, Norddarfur, und am 4. Mai töteten sie eine Person während eines Protestes in Nyala, Süddarfur.

  3. Entlassung von politischen Gefangenen
    Alle Personen, die seit Beginn der Proteste Mitte Dezember 2018 auf friedliche Weise ihre Rechte auf Meinungsfreiheit sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ausgeübt haben, einschließlich der im Dezember 2018 verhafteten Studierenden aus Darfur, müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden.
  4. Auslieferung des ehemaligen Präsidenten al-Bashir an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)
    Amnesty International fordert, dass der Verbleib des ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir dringend erklärt wird und er unverzüglich an den IStGH übergeben wird, um Gerechtigkeit herzustellen für die Gräueltaten, die während seiner drei Jahrzehnte an der Macht begangen wurden. Al-Bashir werden fünf Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zwei Fälle von Kriegsverbrechen und drei Fälle von Völkermord, die in Darfur begangen worden sein sollen, zur Last gelegt.
  5. Beendung der vorherrschenden Straflosigkeit
    a. Personal aus Armee, Polizei und Nachrichtendiensten, das der Beteiligung an völkerrechtlichen Straftaten und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen verdächtigt wird, soll suspendiert werden bis laufende Ermittlungen abgeschlossen sind. Wenn genügend zulässige Beweise vorliegen, sollen die Verdächtigten strafrechtlich verfolgt werden.

    b. Amnesty International fordert faire Prozesse ohne Verhängung der Todesstrafe. Dies soll für die strafrechtliche Verfolgung aller Sicherheitskräfte, Politiker_innen und anderer Personen gelten, die wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtlicher Verbrechen, einschließlich Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, tatverdächtig sind.

  6. Offenlegung von Informationen über Mitglieder der National Congress Party (NCP), die sich in Haft befinden
    Die Aufenthaltsorte aller inhaftierten NCP-Mitglieder sollen offengelegt werden; entweder sollen Anklagen gegen sie wegen erkennbar strafbaren Handlungen, welche mit Sudans völkerrechtlichen Verpflichtungen in Einklang stehen, erhoben werden oder Freilassungen erfolgen. Die Todesstrafe soll nicht zur Anwendung kommen. Die Rechte der Gefangenen sind zu wahren. In diesem Sinne ist sicherzustellen, dass sie Zugang zu Rechtsbeistand ihrer Wahl und medizinischer Behandlung haben sowie die Möglichkeit von Familienbesuchen besteht. Sie dürfen während der Haft nicht gefoltert und anderweitig misshandelt werden.
  7. Reform des Nationalen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes (NISS)
    a. Sofortige und umfassende Reform des NISS, um sicherzustellen, dass er den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen des Sudans entspricht.

    b. Aufhebung der Immunität, die im nationalen Sicherheitsgesetz von 2010 vorgesehen sind, welche Angehörige des NISS zu Festnahmen und Inhaftierungen befähigt.

  8. Unparteiische Ermittlungen zu Tötungen und Folterungen
    Die Ermittlungen zu allen Tatvorwürfen von rechtswidrigen Tötungen, Folter, anderen Misshandlungen und Todesfällen in Haft, die seit Dezember 2018 erhoben worden sind, müssen fair, wirksam, umfassend und transparent erfolgen. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um Tatverdächtige in fairen Prozessen vor Gericht zu stellen, ohne die Todesstrafe zur Anwendung zu bringen.
  9. Festlegung eines Zeitrahmens für die Rechtsreform des nationalen Sicherheitsgesetzes und weiterer Gesetze
    Amnesty International ist der Ansicht, dass dieser Prozess umfassend sein muss und eine Überprüfung und Änderung der Gesetze zu öffentlicher Ordnung, Kriminalität, Strafverfahren, Personenstand sowie Presse und Veröffentlichungen einschließen muss.
  10. Verabschiedung eines offiziellen Moratoriums für Hinrichtungen
    a. Abschaffung der Todesstrafe.

    b. Entfernen der Gesetzesartikel, die körperliche Bestrafung vorsehen.