Einführung
Unvorhersehbare Gewaltausbrüche und die daraus resultierende ständige Unsicherheit in Zentral- und Südsomalia gefährden regelmäßig das Leben vieler somalischer Kinder. Sie sind schweren Bedrohungen für ihr Leben und ihr zu Hause ausgesetzt; während der Konflikte verlieren sie ihre Eltern und Heime und sind daher umso schutzbedürftiger. Nach Angaben der WHO waren zwischen Januar und Oktober 2010 fast ein Fünftel aller Opfer bewaffneter Gewalt Kinder. Das rote Kreuz berichtete, dass 2010 2,300 Frauen und Kinder in die Krankenhäuser in Mogadischu eingeliefert wurden, insgesamt handelte es sich dabei um 40% der Patienten insgesamt. Die Gesamtzahl der Kriegsverwundeten hat sich damit gegenüber dem Vorjahr erhöht. Seit dem Zusammenbruch der Regierung unter Siad Barre vor über 20 Jahren sind Zentral- und Südsomalia Schauplatz von bewaffneten Konflikten wechselnder Gruppierungen. Durch den anhaltenden Konflikt werden Kinder häufig Opfer von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Gewalttaten finden wahllos statt – es werden keine Versuche unternommen, Zivilisten zu schützen, noch nicht einmal die Jüngsten unter ihnen. Kinder werden sogar gezielt angegriffen. Sie beschreiben, wie Al-Shabab, die islamistische Terrororganisation, die weite Teile Somalia kontrolliert, gewaltsam Kinder rekrutiert und Schulen durchsucht. Die jüngsten Kinder unter ihnen waren acht Jahre alt. Außerdem wurde berichtet, dass diejenigen, die sich nicht Al-Shabab beugen, Amputationen und Tötungen zu befürchten haben.
Seit zwei Jahrzehnten hat sich für Kinder der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Nahrung immer stärker verringert. Bewaffnete Gruppen haben Hilfsorganisation den Zugang zu von ihnen kontrollierten Gebieten verweigert, sodass Kinder Dürre und Hungersnöten ausgesetzt waren. Sowohl Al-Shabaab Milizen als auch die Streitkräfte der somalischen Regierung und AMISOM verwenden Bomben als Hauptmittel der Kriegsführung. Da beide Parteien ihre Stützpunkte meist in der Nähe dicht besiedelter Gebiete haben und Bomben wahllos abgeworfen werden, werden Zivilsten häufig Opfer von Angriffen beider Seiten.
Somalia ist neben Amerika der einzige Staat, der die Kinderrechtskonvention nicht ratifiziert hat. Kinder machen etwa die Hälfte der geschätzten Bevölkerungszahl Somalias aus und sind besonders betroffen von dem bewaffneten Konflikt. Diejenigen, die nach 1991 in Somalia geboren sind, haben nie eine funktionierende Regierung, Rechtsstaatlichkeit und Frieden erfahren. Ein 15-jähriger somalischer Junge erzählte Amnesty International: „Den Großteil meines Lebens verbringe ich in Angst.“
Rekrutierung von Kindern durch bewaffnete Gruppen
Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern unter 15 Jahren durch bewaffnete Gruppen ist ein Kriegsverbrechen, unabhängig davon, ob die Rekrutierung unter Zwang stattfindet oder nicht. Die Rekrutierung von Kindern durch die Konfliktparteien ist ein großes Problem in Somalia. Schon mit 15 Jahren werden Jungen als erwachsen angesehen und von ihnen wird erwartet, ihre Familie und ihren Clan zu beschützen. Somalische zivilgesellschaftliche Gruppen haben schon lange die Rekrutierung von Kindern als Soldaten getadelt. Seit der Verschärfung der Konfliktsituation ab 2006 ist es jedoch wieder vermehrt zu dem Einsatz von Kindersoldaten gekommen. Fast alle somalischen Flüchtlinge, die 2010 von Amnesty International interviewt wurden, gaben die Rekrutierung von Kindern oder die Befürchtung rekrutiert zu werden, als Fluchtgrund an. Obwohl schon 2009 von einigen angegeben wurde, dass sie wegen der Furcht vor Rekrutierung geflohen sind, ist diese Zahl im darauffolgenden Jahr angestiegen. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Rekrutierung von Kindersoldaten während der letzten zwei Jahre zugenommen hat. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass bewaffnete Gruppen immer mehr Gebiete in Zentral- und Südsomalia in ihre Gewalt bringen konnten. Dadurch haben sie einen größeren Zugriff auf die dort lebende Bevölkerung. Nach Angaben lokaler Quellen haben bewaffnete Gruppen während der letzten Militäroffensiven vermehrt Kindersoldaten eingesetzt. Beispielsweise hat al-Shabab im August 2010 Bewohner und Kinder in Mogadischu dazu aufgerufen, am jihad (dem heiligen Krieg) gegen die Streitkräfte der Übergangsregierung teilzunehmen. Im Februar 2011 hat die Terrororganisation wieder während Kämpfen in Mogadischu und in der Gedo Region einen Aufruf vorgenommen.
Viele Eltern in Baidoa versuchen ihre Kinder im Haus zu verstecken oder schicken sie fort in Regionen, wo ihnen keine Rekrutierung droht. Die meisten Kinder, die von den Konfliktparteien rekrutiert werden, sind zwischen 12 und 18 Jahre alt. Dennoch wurde Amnesty International von Fällen berichtet, in denen achtjährige Kinder als Soldaten eingesetzt worden sind. Laut den Aussagen somalischer Flüchtlinge gegenüber Amnesty International fanden die meisten Rekrutierungen von Kindern in Mogadischu, Brava, Kismayo, Baidoa, im Sakow Gebiet im mittleren Jubagebiet und im Gedo Gebiet statt. All diese Regionen waren während der letzten Jahre unter der Kontrolle von al-Shabab, sind jetzt aber wieder umkämpft.
Nach Angaben somalischer Flüchtlinge verwendet al-Shabab unterschiedliche Methoden, um Kinder für den Militäreinsatz zu rekrutieren. Kinder werden angeworben, indem ihnen Geld oder Handys versprochen werden, es erfolgen ideologische Indoktrinierungen in Moscheen und Durchsuchungen in Schulen. Außerdem überreden bereits angeworbene Kinder andere Kinder oder es erfolgen offene Drohungen gegen die Familie. Menschen, die zwischen 2009 und 2010 aus Somalia geflohen sind, beschreiben aggressivere Methoden als diejenigen, die bereits 2008 oder früher geflohen sind. Dies deutet daraufhin, dass al-Shabab immer mehr gewaltsame Rekrutierungen vornimmt.
Folgen des bewaffneten Konflikts: Eine verlorene Generation
Über zwei Jahrzehnte bewaffneten Konflikts haben ihre Spuren in Somalia hinterlassen. Es gibt weder ein funktionierendes Bildungssystem noch verwendbare Infrastrukturen. Die teils wahllosen, teils gezielten Angriffe auf Schulen, Schüler und Lehrer verschärfen die Situation zusätzlich. Der somalische Konflikt hat eine ganze Generation daran gehindert, sich zu bilden und zu entwickeln, um später in der Lage sein zu können, sich ein eigenes Leben aufbauen und selbst versorgen zu können. Internationale Studien haben die Langzeitfolgen eines andauernden Konflikts untersucht. Darunter fallen das verstärkte Auftreten nationalen Ungleichgewichts und Armut sowie der Mangel an Bildung und Arbeitsplätzen. Diese Faktoren führen wieder zu Konflikten und gefährden so den Friedensprozess. Aus Somalia wurde vermehrt berichtet, dass Kinder ohne Bildung und ohne Zukunftsaussichten sich Militärgruppen angeschlossen hätten, um versorgt zu werden. Fehlende Bildungsmöglichkeiten für die breite Mehrheit der somalischen Kinder und Jugendlichen wird die Zukunft Zentral- und Südsomalias nachhaltig und negativ beeinflussen.
Weitere Informationen enthält der Bericht In the line of fire – Somalia’s children under attack von Amnesty International, AI Index AFR 52/001/2011 von 2011.