Allgemeine Informationen
- Tag der Unabhängigkeit: 1. Januar 1956
- Amtliche Bezeichnung: Republik Sudan (Dschumhuriyat as-Sudan)
- Hauptstadt: Khartum (circa 8 Millionen Einwohner in der Agglomeration)
- Landessprache: Arabisch und Englisch
- Staatsoberhaupt: Abdel Fattah Burhani
- Premierminister: Abdalla Hamdok
- politisches System:
- bis zum 11.04.2019: Republik
(gemäß Verfassung föderal strukturiert, de facto zentralistisch) - von April bis August 2019: Militärregierung
- seit 17.08.2019: Übergangsverfassung in Kraft
- bis zum 11.04.2019: Republik
- Lage: gehört geographisch sowohl zu Nordafrika als auch zu Ost- und Zentralafrika
- Fläche: 1,85 Millionen Quadratkilometer
- Bevölkerung:
- Volkszählung 2008: 30,9 Millionen
- Volkszählung 2019: 42,1 Millionen
Im Norden befinden sich die arabisch-islamische Bevölkerungsgruppe und nubische Stämme; im Osten des Landes die Rasheida- und Beja-Stämme; im Westen die nomadischen Beggara-Stämme, Fur, Zaghawa und im Südwesten des Landes die Nuba sowie im Süden des Landes die nilotische Stämme.
- Religion: Islam (Minderheitsreligionen: Christentum und indigene Religionen)
Quelle: Auswärtiges Amt; Überblick Sudan
Geschichte und jüngste politische Entwicklung:
Die sudanesische Geschichte ist geprägt, durch das erste Staatswesen, dass sich in der Kerma- Kultur um 1700 vor Christi im „alten Nubien“ entwickelte und die Unterwerfung Nubiens durch die Ägypter. Ab 1260 kamen Muslime aus Ägypten in den Sudan, die eine Arabisierung und eine Islamisierung voranschreiten ließen und ihren Höhepunkt im 16./17. Jahrhundert hatte. 1820 wurde ein Großteil des Sudans von den Truppen des osmanischen Herrschers Mehmet Ali, über Ägypten erobert. 1840 war bereits der Norden des Sudans vollständig besetzt. Ziel des Feldzuges war es, die Rohstoffe (Gold, Holz und Elfenbein) im Süden des Landes zu erschließen. Die Ausbeutung und Korruption durch das Osmanische Reich führte zu einer großen Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die in der politisch- religiösen „Mahdiya-“ Bewegung (1885-1898) mündete. Mohammed Ahmed aus Dongola (1843-1885) war der charismatische Führer der Bewegung mit militärischem Geschick, der sich auf göttliche Inspiration berief. Die „Mahdiya-“ Bewegung wird als der Vorläufer der nordsudanesischen Nationalbewegung angesehen.
Der britische Kolonialismus (1896-1955) führte im Sudan, zu einer bis heute andauernden Spaltung, zwischen dem nördlichen und südlichen Teil des Sudan. Der arabisch dominierte Norden wurde durch die britische und ägyptischen (Ägypten als Juniorpartner Britanniens; Kondominium Herrschaftsform) Vorherrschaft strategisch genutzt und erhielt wirtschaftliche Entwicklungsförderung.
Am 1. Januar 1956 führte Ismail al- Azhari den Sudan in die Unabhängigkeit. Es herrschten danach Interessenkonflikte zwischen der Zentralregierung und den regionalen Eliten. Dies führte dazu, dass sich der südliche Teil des Sudans der Zentralregierung immer weiter entzog und nach den Wahlen im Jahr 1958 sich die „Southern Block- Partei“ gründete. Der Süden Sudans verlangte eine Dezentralisierung mit getrenntem Beamtenapparat, Englisch als Amtssprache und getrennten Universitäten. Aus dieser Entwicklung heraus entstand der längste nachkoloniale Krieg in Afrika. 1972 wurde das Addis-Abeba-Abkommen, unter der Leitung von General Gaafar Mohamed Al Numeiri und seiner militärischen Regierung geschlossen. Dieses Abkommen leitete das Ende des Krieges zwischen dem islamischen Norden und dem christlich dominierten Süden des Sudans ein. Jedoch kam es 1979 zu Massenproteste im Süden gegen die Politik von Numeiri und führte 1985 zu dessen Entmachtung und Bildung einer Übergangsregierung – der Transnational Military Council (TMC) unter General Siwar Al-Dhahab. Aufgrund der Teilung des Südens in kleine Bundesländer, die Einführung des islamischen Strafgesetzes (was von den meisten Parteien abgelehnt wurde) und die Abschaffung des Abbis- Abeba-Abkommens begann 1983 der zweite Bürgerkrieg im Sudan. 1989 kam Al-Bashir durch einen Militärputsch an die Macht.
Der zweite Bürgerkrieg im Sudan, von 1983 bis 2002, forderte 2 Millionen Todesopfer und mehrere Millionen Auslands- und Binnenflüchtlinge. Am 9. Januar 2005 wurde der längste Bürgerkrieg in der afrikanischen Geschichte durch die Regierung in Khartum und der südsudanesischen Befreiungsbewegung in Nairobi beendet. Der Südsudan erklärte seine Unabhängigkeit am 9. Juli 2011 unter Präsident Salva Kiir Mayardit und wurde der 54. Staat Afrikas.
Der bislang amtierende sudanesische Präsident Al-Bashir wurde am 11. April 2019 gestürzt. Omar Al-Bashir werden gravierende Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Unter anderem fünf Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zwei Fälle von Kriegsverbrechen und drei Fälle von Völkermord, die in Darfur (weitere Informationen im Länderbrief) begangen wurden.
Menschenrechtslage im Sudan:
Seit Anfang 2018 fanden immer weiter zunehmende Proteste gegen die Sparmaßnahmen der Regierung und die steigenden Lebenserhaltungskosten statt. Die meist friedlichen Proteste wurden fast überall brutal von Sicherheitskräften niedergeschlagen. Bei den Protesten wurden mehr als 60 Menschen getötet und über 800 Personen inhaftiert und teilweise gefoltert.
Die Regierung ging wiederholt gegen christliche Kirchen und Gläubige vor. Kirchen wurden konfisziert, Christen und Priester inhaftiert, teils gefoltert oder zum Tode verurteilt. Bei Studentenprotesten wurden ebenfalls etliche Personen (Studenten) festgenommen. Das Todesurteil gegen den Studenten Asim Omer, der wegen Polizistenmord während einer Demonstration verhaftet wurde, ist mittlerweile zurückgenommen. Nachdem bekannt wurde, dass Asim während seiner Haft schweren Misshandlungen erlitt, kam es im ganzen Land zu Massenprotesten.
Am 11. April 2019 stürzte das Militär die Regierung der National Congress Party und Präsident Al-Bashir wurde mit weiteren Führungsmitglieder der Partei inhaftiert. Nach dem Sturz wurden alle politischen Gefangenen freigelassen und ein militärischer Übergangsrat (TMC) gegründet.
Der größte zivile Zusammenschluss Force of the Declaration of Freedom and Change (AFC) fordert eine Übergangsregierung unter hauptsächlicher zivilen Beteiligung und Führung. Die Menschenrechtssituation hat sich seitdem dramatisch im Sudan verschlechtert. Friedliche Proteste wurden brutal niedergeschlagen und Demonstrierende wurden unrechtmäßig getötet. Am 3. Juni 2019 eskalierte die Situation vor dem militärischen Hauptquartier in Khartoum. Die Rapid Support Forces (RSF), eine Sondereinheit des Militärs, wendete Gewalt gegen friedlich protestierende Menschen an. Dabei wurden mindestens 100 Menschen getötet und hunderte Personen verletzt. Die Militärregierung versuchte den Vorfall zu verschleiern, indem sie die Leichen im Nil entsorgten. Jedoch wurden mindestens 40 Körper wieder an die Oberfläche getrieben und bestätigten die Tat. Des Weiteren gab es eklatante Verstöße gegen das Völkerrecht, zum Beispiel indem Sicherheitskräfte, bei dem Versuch verletzte Demonstranten in einem Krankenhaus festzunehmen, scharfe Munition und Tränengas einsetzten.
Die Demonstranten und Oppositionellen, die während der Unruhen vor dem 11. April 2019 und bei den späteren Protesten nach dem Sturz Al-Bashirs inhaftiert wurden, berichteten von Folter und Misshandlung in den Gefängnissen. Zudem wurde ihnen kein Rechtsbeistand gewährt. Seit diesen Geschehnissen ist die Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Der Sudan belegt den Platz 176 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit (laut Reporter ohne Grenzen). Journalisten werden willkürlich inhaftiert, Druckauflagen von Zeitungen werden konfisziert, das Internet gesperrt und öffentliche Veranstaltungen der Zivilgesellschaft und Oppositionsparteien werden außerhalb ihrer eigenen Räumlichkeiten nicht gestattet.
Nach diesen Ereignissen wurden die Verhandlungen zwischen TMC und Opposition abgebrochen. Am 5. Juni 2019 einigten sich beide Parteien auf einen gemeinsamen Präsidialrat für drei Jahre mit anschließenden Wahlen und einer Zivilregierung.
Im Juli wurde ein Abkommen für eine Übergangsregierung von Vertreter_innen der zivilen Opposition und dem Militärrat beschlossen und im August folgte eine Einigung auf eine Verfassung. Die Übergangsregierung, der „Souveräne Rat“ wurde für eine Übergangszeit von 3 Jahren bis 2022 gebildet. Dieser verhängte am 25. August, nach gewaltsamen Zusammenstößen zwischen ethnischen Gruppen in Port Sudan, den Ausnahmezustand. Auf Grund der vielen Unruhen im Sudan, speziell in Dafur (siehe dazu Lage in Dafur), wurde vom UN-Sicherheitsrat das Mandat für die UN- Friedensmission UNAMID Ende Juni 2019 nochmals um weitere vier Monate verlängert. Anbetracht der massiven Menschenrechtsverletzungen im Sudan, bewertet Amnesty International die Zusammenarbeit Deutschlands mit der sudanesischen Regierung im Rahmen der Migrationskooperation sehr kritisch.
Amnesty Forderungen:
- die Versammlungs- und Meinungsfreiheit insbesondere der Zivilgesellschaft, der Opposition und von Menscherechtsverteidiger_innen effektiv zu achten und zu schützen.
- den Einsatz von tödlicher und unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstrant_innen, besonders durch Sicherheitskräfte, zu beenden.
- alle Häftlinge, die allein aufgrund der friedlichen Ausübung ihrer Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Haft sind, umgehend freizulassen und alle unrechtmäßigen Anklagen fallen zu lassen.
- den Sicherheitsdienst NISS zu reformieren, insbesondere die Befugnis zur Inhaftierung zu entziehen, die Möglichkeit willkürlicher Verhaftung zu unterbinden, die Immunität von NISS Beamten aufzuheben und einen juristischen Kontrollmechanismus zu etablieren.
- die UN-Antifolterkonvention sowie deren Zusatzprotokoll zu ratifizieren und in nationaler Gesetzgebung und Praxis umzusetzen.
- die Auslieferung des ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir an den Internationalen Strafgerichtshof umzusetzen.
- die Straflosigkeit zu beenden; faire Prozesse ohne Verhängung der Todesstrafe und die strafrechtliche Verfolgung aller Sicherheitskräfte, Politiker_innen u.a., die für schwere Menschenrechtsverletzungen tatverdächtig sind, zu gewährleisten.
- die RSF von jeglichen polizeilichen und militärischen Operationen, besonders in Khartoum und Darfur, mit sofortiger Wirkung zu entbinden.
- Unparteiische Ermittlungen zu Tötungen, Folterungen und Misshandlungen in der Haft seit Dezember 2018 durchzuführen.
- von einer Beendigung UNAMIDs abzusehen, solange potentielle Gefahr einer Eskalation der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Darfur besteht.
- die internationalen Vereinbarungen zum Schutz und zur Unterstützung von IDPs einzuhalten.
Amnesty fordert hinsichtlich der Migrationskooperationen:
- Menschenrechte als zentralen Bestandteil des Khartoum-Prozesses zu begreifen, da Menschenrechtsverletzungen die Hauptursache für Flucht und Migration in der Region sind.
- im Rahmen der Migrationskooperation sicherzustellen, dass Menschenrechtsverletzungen durch sudanesische Sicherheitskräfte (RSF) nicht Vorschub geleistet wird, sondern das Recht auf Asyl, das Non-Refoulement-Gebot, das Verbot pauschaler Inhaftierung von Geflüchteten/Migrant_innen und das Verbot der Folter und Todesstrafe geachtet werden.
- dass in allen Migrationskooperationen Menschenrechtsstandards festgeschrieben werden und ein Monitoringsystem eingerichtet wird. Das Monitoring sollte transparent durch unabhängige Stellen erfolgen.
- im Falle von auftretenden Menschenrechtsverletzungen die Kooperation zu beenden.
- keine Abschiebungen von Sudanes_innen aus den Regionen Blue Nile, Südkordofan und Darfur.
- Migrations- und Fluchtursachen vorzubeugen oder zu beseitigen.
- sichere und legale Zugangswege für Geflüchtete nach Europa zu schaffen; das Resettlement auszuweiten; humanitäre Visa auszustellen.
Bericht zur Menschenrechtslage aus dem Jahresbericht 2020/2021:
Im Jahr 2020 wurden positive Reformen auf den Weg gebracht. So wurden einige Formen der Körperstrafe abgeschafft und die weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe gestellt. Die Sicherheitskräfte gingen mit exzessiver und teils tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende vor. Oppositionelle und Angehörige der Regierung des abgesetzten Präsidenten Omar al-Bashir wurden willkürlich über längere Zeiträume hinweg inhaftiert. Millionen Menschen waren aufgrund der Maßnahmen im Rahmen des Lockdowns zur Bekämpfung von Covid-19 auf Nothilfe angewiesen. Die staatlichen Stellen unter[1]nahmen nichts, um die Zivilbevölkerung in Darfur, in Südkordofan und im Osten des Landes vor den schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen zu schützen, die Milizen bei ihren Angriffen verübten.
Hintergrund Ein Jahr nach dem Sturz von Präsident Omar al-Bashir hatte die Übergangsregierung weiterhin Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung des Erbes der früheren Regierung – einer Zeit, die durch Korruption, Wirtschaftskrisen, Menschenrechtsverletzungen und fehlende Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht gekennzeichnet war. Zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie rief die Regierung im März 2020 einen nationalen Gesundheitsnotstand aus und ordnete u.a. eine nächtliche Ausgangssperre, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Grenzschließungen an. Im August 2020 unterzeichneten die Regierung und die Sudanesische Revolutionäre Front (Sudan Revolutionary Front), ein Bündnis von neun bewaffneten Oppositionsgruppen, ein Friedensabkommen. Die Bündnispartner der Front waren im ganzen Land aktiv, auch in den von bewaffneten Konflikten heimgesuchten Regionen der Bundesstaaten Blue Nile, Darfur und Südkordofan. Einige bewaffnete Gruppen unterzeichneten das Abkommen allerdings nicht. Die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung/Armee Abdul Wahid Nur (Sudan People’s Liberation Movement/Army-Abdul Wahid Nur) lehnte Gespräche über einen Frieden rundweg ab. Mit der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung-Nord (Sudan People’s Liberation Movement-North), die Teile von Südkordofan und Blue Nile kontrolliert, konnte ebenfalls kein Abkommen erzielt werden.
Rechte von Frauen und Mädchen Die Regierung unternahm Schritte, um den Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen zu verbessern. Sie verabschiedete im Juni 2020 einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats mit der Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit«, die Leitlinien zur Verhinderung von geschlechtsspezifischer Gewalt im Rahmen bewaffneter Konflikte und zur Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen enthält. Im Juli 2020 verabschiedete die Regierung ein Gesetz, mit dem die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung unter Strafe gestellt wurde.
Exzessive Gewaltanwendung Im September 2020 trieb die Polizei in der Stadt Nertiti (Bundesstaat Zentral[1]Darfur) Demonstrierende unter Einsatz von scharfer Munition auseinander. Zwei Protestierende wurden getötet, vier weitere erlitten Verletzungen. Die Demonstrierenden protestierten dagegen, dass die Regierung nichts unternahm, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Unbekannte hatten wenige Stunden zuvor die Stadt angegriffen und ein 14-jähriges Mädchen sowie einen 24-jährigen Mann getötet. Der Sicherheitsausschuss des Bundesstaates Zentral-Darfur sicherte zu, beide Vorfälle zu untersuchen. Bei Jahresende lagen jedoch keine weiteren Informationen über den Stand der Untersuchung vor.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung Der Nationale Untersuchungsausschuss, der den Auftrag hatte, die Vorfälle vom 3. Juni 2019 zu untersuchen, bei denen Demonstrierende getötet und verletzt worden waren, hatte seine Tätigkeit Ende 2020 noch nicht abgeschlossen. Am 3. Juni 2019 hatte die militärische Sondereinheit Rapid Support Forces im Verbund mit anderen Sicherheitskräften vor dem Hauptquartier des Militärs in Khartum friedlich Demonstrierende mit scharfer Munition beschossen. Mindestens 100 Menschen wurden getötet, 700 wurden verletzt. Viele Überlebende und Angehörige von Getöteten glaubten nicht, dass der Untersuchungsausschuss ihnen zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung verhelfen würde. Die Regierung gab im Februar 2020 bekannt, dass der frühere Präsident Omar al-Bashir an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ausgeliefert werde, um sich dort wegen Anklagen im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord in Darfur zu verantworten. Der IStGH hatte bereits 2009 und 2010 Haftbefehle gegen Omar al-Bashir ausgestellt. Der IStGH hatte auch Haftbefehl gegen zwei andere Funktionäre von al-Bashirs früherer Regierungspartei, der Nationalen Kongresspartei (National Congress Party – NCP), erlassen, nämlich 2007 gegen Ahmad Harun und 2012 gegen Abdel Raheem Muhammad Hus[1]sein. Die Übergangsregierung kam ihrer Pflicht zur Auslieferung der Männer an den IStGH nach Den Haag jedoch nicht nach und hatte das Römische Statut des IStGH immer noch nicht ratifiziert. Im Juni 2020 wurde Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman (auch unter dem Namen Ali Kushayb bekannt), ein ehemaliger Anführer der Janjawid-Milizen, an den IstGH überstellt. Dort muss er sich wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten, die er in Darfur begangen haben soll. Abd-Al-Rahman hatte sich selbst gestellt.
Folter und andere Misshandlungen Trotz der weitverbreiteten Praxis der Folter in den vergangenen 30 Jahren hat die Übergangsregierung das UN-Übereinkommen gegen Folter nicht ratifiziert. Im Juli 2020 brachte die Regierung rechtliche Reformen zum Schutz gewisser Rechte auf den Weg. Sie schaffte einige Vorschriften des Strafgesetzes von 1991 ab. Auspeitschungen und einige andere Formen der Körperstrafe als Strafe für verschiedene Verbrechen sind nun verboten. Außerdem ist Apostasie (Abfall vom Glauben) nicht länger ein Straftatbestand.
Willkürliche Inhaftierung Mindestens 40 Menschen befanden sich weiterhin willkürlich in Haft. Unter ihnen waren auch Oppositionelle und Mitglieder der früheren Regierung. Am 2. Juni 2020 wurde der Oppositionelle und Sprecher der Bewegung Future Movement Group, Muammar Musa Mohammed Elgarari, in Khartum festgenommen, weil er Mitglieder des Ausschusses Committee for Removal of Empowerment schikaniert haben soll. Der Ausschuss hat den Auftrag, die NCP aufzulösen und ihre Vermögenswerte zu konfiszieren. Ende 2020 befand sich Elgarari nach wie vor ohne Anklageerhebung auf einer Polizeiwache in der Stadt Khartum-Nord in Gewahrsam. Mindestens 40 hochrangige Führungspersonen und Mitglieder der NCP, die 14 Monate lang ohne Anklageerhebung inhaftiert waren, wurden schließlich angeklagt und im Juli 2020 vor ein Sonderstrafgericht gestellt. Sie waren nach dem Militärputsch 2019 festgenommen und im Kober-Gefängnis in Khartum-Nord inhaftiert worden. Im Juni 2020 gab der Generalstaatsanwalt bekannt, dass in den kommenden Wochen mindestens fünf Verfahren an die Gerichte übergeben würden, darunter auch die Verfahren gegen Personen, die wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen in den Jahren der Herrschaft von Omar al-Bashir angeklagt seien. Das erste Gerichtsverfahren begann am 21. Juli und stand im Zusammenhang mit dem Militärputsch von 1989, mit dem Omar al-Bashir an die Macht gekommen war. Das Verfahren dauerte Ende 2020 noch an.
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Ärzt_innen und andere im Gesundheitswesen Beschäftigte wurden von Pa tient_in nen oder ihren Angehörigen, die ihnen die Schuld für die Fehler der Regierung im Umgang mit der Corona-Pandemie anlasteten, tätlich und verbal attackiert. Die sudanesische Ärzt_innen-Vereinigung Committee of Sudanese Doctors berichtete im Mai 2020, dass es von März bis Mai landesweit 28 Angriffe auf medizinisches Personal gegeben habe. Die Regierung erließ im Juni 2020 Rechtsvorschriften zum Schutz des medizinischen Personals und stellte zur Verhinderung weiterer Übergriffe spezielle Sicherheitskräfte ab. Vom 18.April bis Anfang Juni 2020 galt in Khartum eine vollständige Ausgangssperre, und die Menschen konnten das Haus nur verlassen, um lebensnotwendige Dinge zu besorgen. Tausende Menschen, die im informellen Sektor arbeiteten, hatten Schwierigkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen, als die Bewegungsfreiheit zwischen den Staaten eingeschränkt wurde. Die Maßnahmen führten zu einer Gefährdung der Menschenrechte – vor allem der Rechte auf Nahrung, Gesundheit, Wasser und Sanitärversorgung – ausgegrenzter und diskriminierter Gruppen. Zu ihnen gehörten u. a. Binnenvertriebene, Geflüchtete, Migrant_innen, Frauen und Kinder. Der unabhängige UN-Experte für die Menschenrechtssituation im Sudan erklärte im September 2020, dass 9,3 Mio. Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen seien, ein deutlicher Anstieg gegenüber 2015, als es noch 5,2 Mio. Menschen gewesen waren.
Recht auf Gesundheit Die Corona-Pandemie förderte das Ausmaß der Unterfinanzierung des staatlichen Gesundheitswesens zutage. Es zeigte sich, dass in den Krankenhäusern wichtiges Zubehör für persönliche Schutzausrüstung und Beatmungsgeräte fehlte.
Rechtswidrige Tötungen Die Gewalt in Darfur, Südkordofan und im Osten des Sudan riss nicht ab. Im Zuge der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen kam es zu rechtswidrigen Tötungen, sexualisierten Gewalttaten, Folter und anderen Misshandlungen. Außerdem wurde Privateigentum zerstört, und Dörfer wurden geplündert und niedergebrannt. Bis Ende 2020 wurden mindestens 20 solcher Vorfälle dokumentiert. Die Sicherheitskräfte und die Übergangsregierung trafen wiederholt keine Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung noch schritten sie rechtzeitig ein, um eine Eskalation der Kämpfe und Menschenrechtsverstöße zu verhindern. Angehörige einer Miliz der arabischen nomadisierenden ethnischen Gruppe der Rizeigat griffen am 21.April 2020 die Bewohner_innen des in der Nähe liegen[1]den Ortes Tamar Bol-Jimeil, nordöstlich der Stadt Zalingei (Bundesstaat Zentral[1]Darfur) an. Einige Angreifer sollen Militäruniformen getragen haben. Zwei Menschen kamen ums Leben, 14 wurden verletzt. Mindestens 18 Häuser sollen niedergebrannt und mehr als 400 Familien vorübergehend vertrieben worden sein. Am 13. Juli 2020 wurden bei einem Angriff einer bewaffneten Milizengruppe auf das Lager für Binnenvertriebene Fata Borno im Bundesstaat Nord-Darfur zehn Teilnehmende einer Protestaktion getötet und mindestens 17 Menschen verletzt. Die Milizen sollen den Sicherheitskräften der Regierung nahestehen. Der Angriff fand während eines friedlichen achttägigen Sitzstreiks statt, mit dem die Teilnehmenden u.a. mehr Sicherheit, mehr Schutz ihrer Anbaukulturen vor Angriffen von Milizen und anderen bewaffneten Gruppen sowie die Entlassung von Beamt_innen, die der abgesetzten Regierung nahestanden, forderten. Bei einem Vergeltungsangriff einer bewaffneten Gruppe wurden am 25. Juli 2020 in der Ortschaft Masteri (Bundesstaat West-Darfur) und Umgebung mindestens 60 Menschen der ethnischen Gruppe der Massalit getötet und mehr als 54 verletzt. Die staatlichen Stellen griffen nicht ein und unternahmen auch nichts, um den mehrere Stunden dauernden Angriff zu verhindern. Sie sicherten zwar eine Untersuchung des Angriffs zu, entsprechende Ergebnisse wurden jedoch bis Ende 2020 nicht veröffentlicht.
Veröffentlichungen von Amnesty International a Exposed, silenced, attacked: Failures to protect health and essential wor[1]kers during the COVID-19 pandemic (POL 40/2572/2020) a Sudan: UN and AU must prioritize protection of civilians in Darfur (AFR 54/2351/2020) a Sudan: Promptly investigate protester killings at Fata Borno (Press release, 14 July)
Bericht zur Menschenrechtslage aus dem Jahresbericht 2021/2022
Berichtszeitraum: 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021
Die bescheidenen Fortschritte der Übergangsregierung bei der Verbesserung der Menschenrechtslage erlitten nach dem Militärputsch im Oktober 2021 einen schweren Rückschlag. Die Sicherheitskräfte gingen mit exzessiver und sogar tödlicher Gewalt sowie anderen repressiven Maßnahmen gegen Proteste und Widerstand gegen die militärische Machtübernahme vor. Dabei kam es Berichten zufolge auch zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Bei Demonstrationen gegen den Militärputsch wurden mindestens 53 Menschen getötet und Hunderte verletzt.
Die Militärbehörden nahmen zahlreiche zivile Politiker_innen und Aktivist_innen fest und hielten sie für lange Zeiträume willkürlich in Haft, oft ohne Kontakt zur Außenwelt. Internet- und Telekommunikationsdienste wurden regelmäßig blockiert und Journalist_innen angegriffen. Trotz anderslautender Versprechungen wurden von Sicherheitskräften begangene Straftaten weder untersucht noch strafrechtlich verfolgt. In der Region Darfur im Westen des Landes kam es zu rechtswidrigen Angriffen durch Milizen, denen Hunderte Zivilpersonen zum Opfer fielen, da die dortige Zivilbevölkerung von den Sicherheitsbehörden weiterhin nur unzureichend geschützt wurde. Die Regierung erhöhte die Ausgaben für das Gesundheitswesen, doch den Krankenhäusern fehlte es dennoch an grundlegender Ausstattung. Frauen protestierten gegen die zunehmende geschlechtsspezifische Gewalt und diskriminierende Gesetze. Es kamen zahlreiche Flüchtlinge ins Land, die vor dem Konflikt in der äthiopischen Region Tigray geflohen waren.
Hintergrund
Nach dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir im Jahr 2019 führte ein Machtteilungsabkommen zwischen Militär und Zivilbehörden zur Bildung einer Übergangsregierung. Die Regierung erzielte einige Fortschritte bei längst überfälligen Reformen. So wurden die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung unter Strafe gestellt und die Gesetze über Körperstrafen reformiert.
Die anhaltenden Machtkämpfe zwischen den militärischen und den zivilen Kräften der Regierung u. a. über Reformen im Wirtschafts- und Sicherheitssektor eskalierten jedoch, und am 25. Oktober 2021 ergriff die Armee die Macht. Sie löste die Zivilregierung auf und verhängte einen landesweiten Ausnahmezustand.
Am 21. November 2021 unterzeichnete die Armee ein Abkommen, mit dem der entmachtete Ministerpräsident Abdalla Hamdok wieder eingesetzt wurde. Der Unmut der Bevölkerung gegenüber dem Militär wuchs jedoch weiter, obwohl unter Vermittlung der Vereinten Nationen Bemühungen unternommen wurden, die Krise zu beenden.
Wichtige Wirtschaftsreformen führten dazu, dass der Sudan von internationalen Finanzinstitutionen einen Schuldenerlass in Höhe von 20,5 Milliarden US-Dollar (rd. 18 Mrd. Euro) erhielt. Zahlreiche internationale Organisationen setzten nach dem Militärputsch ihre Programme zur wirtschaftlichen Unterstützung aus, wodurch diese positiven Entwicklungen gefährdet wurden.
Exzessive Gewaltanwendung
Die Sicherheitskräfte gingen weiterhin mit exzessiver und teilweise tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende vor. Am 11. Mai 2021 erschossen sie bei einer Demonstration in der Hauptstadt Khartum mindestens zwei Demonstrierende und verletzten zahlreiche weitere. Bei der Demonstration wurde Gerechtigkeit für einen Angriff der Sicherheitskräfte auf friedliche Demonstrierende im Juni 2019 gefordert. Damals waren über 100 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden (siehe Abschnitt Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung).
Nach dem Militärputsch im Oktober 2021 gingen Hunderttausende Menschen regelmäßig aus Protest auf die Straße, und die Sicherheitskräfte griffen verstärkt auf Gewalt zurück. So waren u.a. die Armee, die Polizei und die militärische Sondereinheit Rapid Support Forces (RSF) an der gewaltsamen Unterdrückung und Auflösung der Proteste beteiligt, wobei mindestens 53 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Berichten zufolge wandten die Sicherheitskräfte geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen an, um gegen die wachsende Zahl weiblicher Demonstrierender vorzugehen. Im Dezember sollen zwei Frauen vergewaltigt worden sein.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Am 10. August 2021 ratifizierte die Regierung das UN-Übereinkommen gegen Folter und das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Dies waren positive Schritte, um Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen zu ermöglichen.
Die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen genossen jedoch weiterhin Straffreiheit. Mehr als ein Jahrzehnt, nachdem der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl gegen Omar al-Bashir, Ahmad Harun und Abdel Raheem Muhammad Hussein erlassen hatte, kam die Übergangsregierung immer noch nicht ihrer Verpflichtung nach, die Verdächtigen nach Den Haag zu überstellen, damit sie sich dort wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen in Darfur verantworten.
Der Nationale Untersuchungsausschuss, der im Oktober 2019 gebildet wurde und den Auftrag hatte, einen Vorfall zu untersuchen, in dem die RSF, der Geheimdienst und die Polizei im Juni 2019 in Khartum mehr als 100 Protestierende tötete und sexualisierte Gewalt, Folter und andere Misshandlungen gegen weitere Demonstrierende anwandte, veröffentlichte auch 2021 keine Ergebnisse. Ende des Jahres war noch niemand für die brutalen Übergriffe zur Rechenschaft gezogen worden.
Die bescheidenen Fortschritte, die in den fast drei Jahren seit der Absetzung von Omar al-Bashir bei der Verbesserung des Menschenrechtsschutzes erzielt wurden, erlitten nach dem Militärputsch im Oktober 2021 einen erheblichen Rückschlag. Zwar hatte der Ministerpräsident im November zugesichert, dass die Tötung der Menschen, die gegen die Machtübernahme der Armee protestiert hatten, untersucht werde, doch gab es keinerlei Anzeichen für diesbezügliche Fortschritte.
Willkürliche Inhaftierung
Am 10. Juli 2021 wurden die beiden Oppositionellen und Mitglieder der Bewegung Future Movement Group Muammar Musa Mohammed Elgarari und Mikhail Boutros Ismail Kody gegen Kaution freigelassen. Sie waren seit Juni 2020 ohne Anklage willkürlich auf einer Polizeiwache in der Stadt Khartum-Nord in Gewahrsam gehalten worden, weil sie Mitglieder des Ausschusses Committee for Removal of Empowerment schikaniert haben sollen. Der Ausschuss hat den Auftrag, die ehemals regierende Nationale Kongresspartei aufzulösen und ihre Vermögenswerte zu konfiszieren.
Nach der Machtübernahme durch die Armee im Oktober 2021 nahmen die Sicherheitskräfte willkürlich zahlreiche zivile Politiker_innen fest und inhaftierten sie. Unter ihnen befanden sich Kabinettsmitglieder und Regierungschef Hamdok, der zwei Tage lang festgehalten und dann fast einen Monat lang unter Hausarrest gestellt wurde. Andere politische Gefangene, die beinahe einen Monat lang ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Zugang zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen festgehalten wurden, kamen im Zuge eines am 21. November unterzeichneten Abkommens frei. Die Sicherheitskräfte nahmen jedoch weiterhin Protestierende fest und klagten sie an.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde stark eingeschränkt. Ab dem 25. Oktober 2021 kam es wiederholt zur Sperrung von Internet- und Telekommunikationsdiensten. Dadurch hatten die Menschen nur eingeschränkten Zugang zu aktuellen und genauen Informationen und konnten ihre politische Meinung nicht uneingeschränkt äußern. Zudem war die Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen nur begrenzt möglich.
Die Militärbehörden nahmen auch Medienschaffende ins Visier, die über die Proteste gegen den Militärputsch berichteten. Am 30. Dezember 2021 griffen Sicherheitskräfte die Büros zweier Fernsehsender in Khartum an, indem sie Journalist_innen attackierten und die Räume mit Tränengas beschossen. Auslöser war die Ausstrahlung von Filmmaterial, das zeigte, wie Angehörige der Sicherheitskräfte Übergriffe gegen Protestierende verübten.
Rechtswidrige Angriffe und Tötungen
Der vorzeitige Abzug der Einheiten des Hybriden Einsatzes der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur (UNAMID) im Dezember 2020 und das wiederholte Versagen der sudanesischen Sicherheitskräfte beim Schutz der Zivilbevölkerung führten besonders im Bundesstaat West-Darfur zu anhaltender wahlloser Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. In einigen Fällen beteiligten sich RSF-Angehörige an Angriffen von Milizen gegen die Zivilbevölkerung.
Im Januar 2021 wurden bei einem Vergeltungsangriff von Milizen auf das Lager Krinding in El Geneina, der Hauptstadt von West-Darfur, mindestens 163 Menschen getötet und 217 verletzt. In dem Lager leben Tausende Binnenvertriebene der ethnischen Gruppe der Massalit.
Am 3. April 2021 schossen mutmaßlich arabische Unbekannte auf drei Massalit-Männer. Saber Ishaq, 28 Jahre alt, und Arbab Khamis, 47 Jahre alt, wurden getötet, während der 53-jährige Abdulhafiz Yahia Ismaeil schwere Verletzungen erlitt. Der Vorfall löste eine Welle tödlicher Gewalt aus, die vier Tage lang andauerte. Nach Angaben der unabhängigen Gewerkschaft von Ärzt_innen des Bundesstaats West-Darfur wurden bei den Zusammenstößen mindestens 144 Menschen getötet und 232 verletzt.
Zwischen Oktober und November 2021 starben in West-Darfur laut der Anwaltskammer von Darfur 200 Menschen infolge von Gewalt zwischen ethnischen und religiösen Gruppen.
Recht auf Gesundheit
Die staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen waren 2021 deutlich höher als in den Vorjahren. Das Finanzministerium stellte 99 Mrd. Sudanesische Pfund (rd. 200 Mio. Euro) – 9 Prozent des Haushalts – für das Gesundheitssystem zur Verfügung. Das Geld war für lebensrettende Medikamente, Covid-19-Behandlungen, die Sanierung und den Bau von Krankenhäusern in ländlichen Gebieten, Zentren für reproduktive Gesundheit und andere Gesundheitseinrichtungen sowie für Ernährungs- und Gesundheitsprogramme bestimmt.
Mitten in der dritten Coronawelle in der ersten Jahreshälfte sahen sich die Krankenhäuser jedoch mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Unter anderem waren Medikamente und Sauerstoff knapp, und wegen der niedrigen Gehälter und schlechten Arbeitsbedingungen gab es weder genug Ärzt_innen noch andere medizinische Fachkräfte. Zwischen März 2020 und Mai 2021 starben im Sudan 89 Ärzt_innen an Covid-19.
Das Land hatte weiterhin nicht genug Impfstoff gegen das Coronavirus. Am 3. März 2021 erhielt der Sudan von der COVAX-Initiative über 800.000 Dosen AstraZeneca-Impfstoff und begann am 9. März mit seinem Impfprogramm gemäß dem staatlichen Impfplan. Oberste Priorität hatte zunächst die Impfung von medizinischem Personal mit Patient_innenkontakt und älteren Menschen mit Vorerkrankungen. Ende des Jahres hatte der Sudan 5,25 Mio. Impfstoffdosen erhalten, und Regierungsangaben zufolge waren 1,23 Mio. Menschen vollständig geimpft, was 2,8 Prozent der Gesamtbevölkerung von etwa 43,85 Mio. Menschen entsprach. Im Laufe des Jahres erkrankten laut Angaben des Gesundheitsministeriums 47.443 Personen nachweislich an Covid-19, und 3.340 Menschen starben im Zusammenhang mit Coronainfektionen.
Rechte von Frauen und Mädchen
Am 8. April 2021 nahmen Hunderte Frauen an einer Demonstration in Khartum teil. Sie protestierten gegen die Zunahme häuslicher und anderer geschlechtsspezifischer Gewalt im Zusammenhang mit den Coronabeschränkungen und prangerten diskriminierende Gesetze und patriarchalische Einschränkungen der Frauenrechte an. Besonders thematisiert wurden u. a. Gesetze, die es Frauen verbieten, ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns oder Vaters außerhalb des Zuhauses zu arbeiten, sowie die Ungleichstellung in der Familie und im Berufsleben.
Die Demonstrierenden stellten das “Feministische Manifest” vor, das im April 2021 nach zweijährigen Beratungen mit verschiedenen Basisorganisationen für Frauenrechte und Verfechter_innen von Geschlechtergerechtigkeit erarbeitet worden war. In dem Manifest wurden die staatlichen Stellen aufgefordert, zahlreiche rechtliche Hindernisse für die Gleichstellung zu beseitigen und bestehenden Gesellschaftsnormen, die zur Unterdrückung von Frauen und Mädchen führen, entgegenzuwirken.
Ebenfalls im April ratifizierte der sudanesische Ministerrat die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen (mit Vorbehalten zu den Artikeln 2, 16 und 29/1) sowie das Protokoll für die Rechte von Frauen in Afrika (Maputo-Protokoll).
Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen
Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge war der Sudan mit mehr als 1,1 Mio. Flüchtlingen und Asylsuchenden nach wie vor eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge in Afrika. Die meisten Flüchtlinge stammten aus dem Südsudan. Der Sudan beherbergte auch mindestens 55.000 Flüchtlinge, die 2021 aus der konfliktgeschüttelten äthiopischen Region Tigray geflohen waren.
Veröffentlichungen von Amnesty International
- Sudan: Horrific attacks on displacement camps show UN peacekeepers still needed in Darfur, 1 March
- Sudan: Speed up investigations into 2019 Khartoum massacre, 3 June
- Sudan: Investigate the killings of people after military crackdown against protesters, 24 November
Bericht zur Menschenrechtslage aus dem Jahresbericht 2023
Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023
Der bewaffnete Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften und den paramilitärischen Rapid Support Forces sowie den mit ihnen verbündeten Milizen war durch gezielte und wahllose Angriffe gekennzeichnet und führte zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung. Alle Konfliktparteien verübten schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht. Frauen und Mädchen waren in Verbindung mit dem Konflikt sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die während des Konflikts verübten Verstöße und Menschenrechtsverletzungen blieben straflos. Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben, und rund 1,4 Mio. flohen in Nachbarländer, wo sie unter extrem schwierigen Bedingungen lebten.
Hintergrund
Im April 2023 brachen in der Hauptstadt Khartum heftige Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee unter Führung von General Abdel Fattah al-Burhan und den paramilitärischen Einheiten der Rapid Support Forces (RSF) unter dem Kommando von General Mohamed Hamdan Dagalo (auch bekannt als Hemedti) aus. Die Kampfhandlungen weiteten sich schnell auf andere Gebiete wie Darfur und Nord-Kordofan aus. Den bewaffneten Kämpfen waren monatelange Spannungen zwischen den beiden Seiten vorausgegangen, welche u. a. die Reform des Sicherheitsapparats betrafen, die im Rahmen der Verhandlungen über eine neue Übergangsregierung vorgeschlagen worden war. Trotz mehrfacher Waffenstillstandserklärungen weiteten sich die Kämpfe im Laufe des Jahres aus. Von April bis Dezember 2023 wurden nach Angaben der Vereinten Nationen landesweit mehr als 12.000 Menschen getötet. Im Oktober wurde bekannt, dass etwa 15 Mio. Menschen (31 Prozent der Bevölkerung) unter akuter Ernährungsunsicherheit litten. In Khartum und in der Region Darfur wurden zahlreiche Häuser, Geschäfte, Banken und öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser sowie Lagerhäuser humanitärer Organisationen geplündert, zumeist von RSF-Kämpfern. Zudem verursachte der 20 Jahre alte Konflikt in der Region Darfur weiterhin unermessliches Leid.
Wahllose Angriffe
Die sudanesische Armee und die RSF setzten bei ihren Angriffen, die sie in und aus dicht besiedelten zivilen Wohngebieten verübten, häufig Explosivwaffen mit großflächiger Wirkung ein. Dabei gerieten zahlreiche Zivilpersonen ins Kreuzfeuer. Viele wurden in ihren Häusern oder bei ihrer verzweifelten Suche nach Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Dingen getötet. Andere wurden auf der Flucht vor der Gewalt oder an Orten, an denen sie Schutz gesucht hatten, verletzt oder getötet. In den meisten Fällen ließ sich kaum feststellen, von welcher Konfliktpartei die Geschosse stammten, die die Zivilpersonen verletzt oder getötet hatten. Am 15. April 2023, dem Tag, an dem die Kämpfe erneut ausbrachen, schlug ein verirrtes Geschoss in ein Haus im Viertel Hay al-Manara der Stadt Omdurman ein. Dabei wurde die Ärztin Ala’ Fawzi al-Mardi getötet und ihre Mutter Zeinab Ahmad Othman schwer verletzt. Am 24. April 2023 tötete ein Sprengkörper die Anwältin Suhair Abdallah al-Bashir und ihre beiden Schwager Mohammed und Omar al-Rayeh im Zentrum von Khartum. Sie waren aus ihrem Haus getreten, das in der Nähe des Außenministeriums lag, und wollten die Stadt verlassen, als die Munition neben ihrem Fahrzeug einschlug. Am 18. Mai 2023 wurden Khadija Mustafa Osman Said, ihre Söhne Haydar Hamed Guma Khater und Hameid Hamed Guma Khater sowie ihr Nachbar Mustafa Ali Hamdan getötet, als Geschosse ihr Haus im Viertel Imtidad nahe dem Stadtzentrum von Nyala im Bundesstaat Süd-Darfur trafen. Am 21. Mai 2023 starben bei einem Angriff in El Geneina, der Hauptstadt des Bundesstaats West-Darfur, mindestens sieben Menschen. Zwölf weitere erlitten Verletzungen. Der Angriff traf das Landwirtschaftsministerium im Norden des Viertels Al-Jamarik, wo viele Menschen, die ihre Häuser verlassen hatten, Zuflucht gesucht hatten. Auch am 14. Juni 2023 wurden in El Geneina zahlreiche Zivilpersonen verletzt oder getötet. Zu den Schwerverletzten zählte Gamra Mustafa, die in ihrem Haus im Stadtteil Al-Madaris von zwei Kugeln getroffen wurde. Im nahe gelegenen Viertel Hay al-Riadh starb der siebenjährige Adnan Is’haq, als ihn zu Hause eine verirrte Kugel in die Brust traf.
Rechtswidrige Angriffe und Tötungen
In Khartum und anderen Teilen des Landes wurden Zivilpersonen durch gezielte Angriffe verletzt oder getötet, vor allem im Bundesstaat West-Darfur. Am 13. Mai 2023 drangen Kämpfer der RSF in die koptische Kirche Mar Girgis (St. Georg) im Stadtteil Bahri (Khartum-Nord) ein. Sie schossen auf die Anwesenden und verletzten fünf Personen. Außerdem stahlen sie Geld und ein goldenes Kreuz. Am 19. Mai 2023 erschossen RSF-Kämpfer Peter Kiano, einen Lehrer für Mathematik und Ingenieurwesen, in einem südlichen Außenbezirk von Khartum vor einem Restaurant. Der 60-Jährige stammte aus dem Südsudan und arbeitete seit vielen Jahren in Khartum. In der Region Darfur nahmen die Spannungen zu. Schwer bewaffnete arabische Milizen griffen mit Unterstützung von RSF-Kämpfern El Geneina, Misterei, Tandelti und weitere Städte und Dörfer in West-Darfur an. Viele Angehörige der ethnischen Gemeinschaft der Masalit wurden bei ethnisch motivierten Angriffen vorsätzlich getötet oder verletzt, vor allem Männer und ältere Jungen. Am 25. April 2023 wurden in El Geneina Ibrahim Adam Mohamed und sein Bruder Mohamed von arabischen Milizionären angeschossen und verletzt, als sie vor ihrem Haus im Bouhaira-Viertel saßen. Am 14. Mai 2023 wurden der Arzt und Menschenrechtsverteidiger Adam Zakaria Is’haq, der für das Darfur Network for Human Rights arbeitete, und 13 weitere Personen in einer Krankenstation (Medical Rescue Centre) im Jamarik-Viertel in El Geneina getötet. Am 17. Mai 2023 erschossen arabische Milizionäre in der Stadt Tandelti, die nordwestlich von El Geneina nahe der Grenze zum Tschad liegt, gezielt die beiden Landwirte Abderrahman Ibrahim Ahmed und Ali Is’haq Ali Bashir. Bei demselben Vorfall wurden außerdem Mariam Mohamed Ahmad, ihr Cousin Hassan Ibrahim und drei weitere Menschen getötet. Am 28. Mai 2023 wurden in der südwestlich von El Geneina gelegenen Stadt Misterei bei Zusammenstößen zwischen der RSF und mit ihnen verbündeten Milizen einerseits und bewaffneten Masalit-Gruppen andererseits zahlreiche Zivilpersonen getötet. RSF-Kämpfer töteten dabei fünf Brüder unter einem Dach. Am 14. Juni 2023 wurde der Gouverneur von West-Darfur und Anführer der bewaffneten Gruppe Sudanese Alliance, Khamis Abakar, in El Geneina getötet. Er war zuvor von RSF-Kämpfern gefangen genommen worden.
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt
Zahlreiche Frauen und Mädchen wurden 2023 in Verbindung mit dem Konflikt vergewaltigt und anderen Formen sexualisierter Gewalt durch Angehörige der Konfliktparteien ausgesetzt, insbesondere durch Kämpfer der RSF und der mit ihr verbündeten Milizen. Die jüngsten Opfer waren zwölf Jahre alt. Die meisten betroffenen Frauen und Mädchen waren Sudanesinnen, einige stammten aus anderen Ländern. Sie erlebten sexualisierte Gewalt zu Hause oder wenn sie auf der Suche nach Lebensmitteln oder anderen lebensnotwendigen Dingen unterwegs waren. Viele wurden verschleppt. In einem Fall entführten RSF-Kämpfer eine Gruppe von 24 Frauen und Mädchen und brachten sie in ein Hotel in Nyala, wo sie mehrere Tage lang unter Bedingungen festgehalten wurden, die sexueller Sklaverei gleichkamen, und mehrere RSF-Mitglieder sie vergewaltigten.
Am 22. Juni 2023 überfielen drei bewaffnete arabische Männer in Zivil eine 25-jährige Frau und drängten sie in das Gebäude des Standesamts im Al-Jamarik-Viertel in El Geneina, wo sie sie mehrfach vergewaltigten.
Viele Überlebende erhielten nicht die notwendige medizinische und psychosoziale Unterstützung, da ihnen kaum Dienste zur Verfügung standen, die Schutz, Rehabilitation oder Hilfe bei der Existenzsicherung anboten. Im Zuge des Konflikts waren viele Gesundheitseinrichtungen beschädigt und geplündert worden, und medizinisches Personal war geflohen. Eine zeitnahe Versorgung nach einer Vergewaltigung war nur begrenzt oder gar nicht vorhanden. Vielfach waren die Betroffenen nicht in der Lage oder hatten Angst, Übergriffe zu melden und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zudem waren die Telefon- und Internetverbindungen schwach bzw. in einigen Gebieten unterbrochen, und die Bewegungsfreiheit war durch den Konflikt stark eingeschränkt.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Im Juli 2023 teilte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) mit, die Anklagebehörde habe Ermittlungen zu den jüngsten Angriffen in Darfur aufgenommen. Gegen drei Personen, darunter den ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir, lagen Anklagen vor dem IStGH vor, doch hatten die sudanesischen Behörden sie noch nicht an den Strafgerichtshof überstellt.
Am 11. Oktober 2023 beschloss der UN-Menschenrechtsrat eine Resolution, mit der eine unabhängige internationale Untersuchungskommission für den Sudan eingerichtet wurde. Sie soll die Fakten, Umstände und Ursachen der im Zuge des Konflikts verübten mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, einschließlich derer, die gegen Flüchtlinge verübt wurden, untersuchen und Beweise sichern.
Rechte von Binnenvertriebenen
Der Konflikt hatte verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, und die Lage verschlechterte sich 2023 zunehmend. Mehr als 5,8 Mio. Menschen wurden seit April vertrieben, was Sudan zum Schauplatz der weltweit größten Vertreibungskrise machte. Nach UN-Angaben wurden allein zwischen dem 15. April und dem 19. Oktober 2023 mehr als 4,5 Mio. Menschen vertrieben. Unter den Vertriebenen waren auch Flüchtlinge aus anderen Ländern, insbesondere aus Äthiopien, Eritrea und dem Südsudan, die im Sudan Zuflucht gesucht hatten. Die schwierige humanitäre Lage der Binnenvertriebenen wurde durch den akuten Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und Treibstoff noch verschärft. Weil Handelswege unterbrochen und lebenswichtige Güter knapp waren, stiegen deren Preise so drastisch an, dass die Bevölkerung sie nicht mehr bezahlen konnte.
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Seit dem 15. April 2023 waren etwa 1,4 Mio. Menschen in die Nachbarländer Ägypten, Äthiopien, Südsudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik geflohen, wo sie unter äußerst schwierigen Bedingungen lebten. Einige Asylsuchende aus dem Sudan mussten erleben, dass man ihnen die Einreise in ein Land verweigerte, wodurch sie Gefahr liefen, in die gefährliche Situation zurückkehren zu müssen, vor der sie geflüchtet waren. Die ägyptischen Behörden verlangten von allen sudanesischen Staatsangehörigen ein Einreisevisum, das nur von den ägyptischen Konsulaten in den sudanesischen Städten Wadi Halfa oder Port Sudan ausgestellt wurde. Am 29. Mai 2023 führte Ägypten außerdem als zusätzliche Anforderung vor der Einreise eine Sicherheitsüberprüfung für alle Jungen und Männer zwischen 16 und 50 Jahren ein (siehe Länderkapitel Ägypten).
Veröffentlichungen von Amnesty International